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Energie & Rohstoffe > Stahlwerk Georgsmarienhütte

„Energieintensive Produktion kann so in Deutschland nicht überleben“

Georgsmarienhütte nutzt Strom zur Stahlerzeugung und gilt als Vorreiter auf dem Weg zum „grünen Stahl“. Im Interview verrät Geschäftsführerin Anne-Marie Großmann, wie das angesichts stark gestiegener Energiekosten funktioniert.

Dr. Anne-Marie Großmann
Anne-Marie Großmann ist Gesellschafterin und Mitglied der Geschäftsführung der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Bild: Georgsmarienhütte GmbH

Anne-Marie Großmann führt in der zweiten Generation den Stahlkocher Georgsmarienhütte. Schon ihr Vater hatte die Fabrik auf Strom umgestellt. Stammt der aus erneuerbaren Energien, ist der Stahl, den Großmann produziert, „grün“. Wie funktioniert das Konzept angesichts der Energiewende und den rasant gestiegenen Kosten? Das Gespräch führte Thorsten Giersch.
 
Frau Großmann, Georgsmarienhütte nutzt Strom zur Stahlerzeugung. Wann ist Stahl „grün“ aus Ihrer Sicht?

Die Stahlindustrie ist heute für fast zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Somit hat unsere Industrie eine sehr große Verantwortung, diese Emissionen zu reduzieren um den Klimawandel zu bekämpfen. „Grüner“ Stahl ist Stahl, der mit einem signifikant niedrigeren CO2-Fußabdruck im Vergleich zum Marktdurschnitt hergestellt wird. Stahl unserer GMH Gruppe beispielsweise wird schon heute als „grün“ bezeichnet, weil er in deutlich emissionsärmeren Elektrolichtbogen-Öfen produziert wird. Dabei sind die Emissionen bei der Herstellung von Rohstahl in solchen Elektroöfen um 80 Prozent niedriger als bei der Produktion in der herkömmlichen Hochofen-Route. Zudem besteht unser Stahl zu 100 Prozent aus recycelten Metallresten. Somit gibt es schon heute „grünen“ Stahl und die Möglichkeit, unsere globalen Emissionen zu reduzieren!

Georgsmarienhütte gilt als Vorreiter auf dem Weg zum „grünen Stahl“. Wann begann dieser Prozess?

Vor fast 30 Jahren waren wir das erste Unternehmen in Europa, das einen Elektrolichtbogen- Ofen mit besonders effizienter Technologie gebaut hat. Auf der Basis von Schrott, also geschmolzenen Metallresten, können wir dem Markt seitdem eine echte Kreislaufwirtschaft anbieten. Dafür haben wir zum Beispiel eine Partnerschaft mit Volkswagen Osnabrück. Der werthaltige Schrott, der bei der dortigen Produktion anfällt, wird im Stahlwerk der Georgsmarienhütte zu neuem Hightech-Stahl recycelt und fließt damit wieder in die Wertschöpfungskette bei Volkswagen ein.

Wo stehen Sie heute?

Wir befinden uns in einem großen Transformationsprozess, um komplett klimaneutral zu werden und unsere Vorreiterrolle weiter auszubauen. Zum Beispiel testen wir Bio-Kohle, die als Nebenprodukt in der Forstwirtschaft gewonnen wird und sind somit schon heute in der Lage, 1000 Tonnen unseres „Premium Green Power“ Stahls zu produzieren, der quasi CO2- frei ist. Im nächsten Jahr werden wir diese Kapazitäten auf 60.000 Tonnen ausbauen. Um unseren CO2-Fußabdruck weiter zu verringern, brauchen wir als großer Stromverbraucher in unserem Elektroofen mehr erneuerbare Energien. Derzeit kommen 30 Prozent unseres Stromverbrauchs aus zertifiziertem Ökostrom. Aber um klimaneutral zu werden, brauchen wir mehr erneuerbare Energien – und diese zu international wettbewerbsfähigen Preisen.

Wie lautet der Fahrplan in den kommenden Jahren?

Wir wollen den Anteil regenerativ erzeugter Energien in unserem Strom-Mix auf bis zu 100 Prozent anheben. Daneben planen wir in unseren Werken den Ersatz von Erdgas durch Wasserstoff und den vollständigen Ersatz von fossiler Kohle durch Bio-Kohle. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, unsere CO2-Emissionen bis 2030 zu halbieren. Bis 2039 wollen wir dann komplett klimaneutral sein.

Was macht diese Transformation mit Ihren Beschäftigten? Wie nehmen Sie die mit auf dieser Reise?

Unsere knapp 6000 Mitarbeitenden sind auf unserer Reise voll eingebunden – und tragen mit ihrer Expertise und ihren Vorschlägen dazu bei, dass wir auf diesem Weg schneller sind als so mancher Großkonzern der Branche. In einem mittelständischen Unternehmen wie der GMH Gruppe gibt es flache Hierarchien, weniger Bürokratie und dafür mehr Unternehmergeist. Bei uns werden Entscheidungen schnell getroffen. Dabei werden alle Kolleginnen und Kollegen eingebunden, Ideen sind immer willkommen, und werden – wenn sie uns weiterbringen – zügig umgesetzt.

Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, um Ihre Ziele zu erreichen?

Grundsätzlich sind wir in Deutschland in vielen Bereichen – Technologien, neue Konzepte, Know-how, Innovationsgeist – gut aufgestellt. Aber wir haben eine große Herausforderung: sehr hohe Energiekosten. Diese heben sich deutlich von denen unserer Konkurrenten aus den USA, China, Indien oder auch der Türkei ab. Wenn das so bleibt wird es mittelfristig dazu führen, dass wir als Elektrostahlerzeuger mit unserer energieintensiven Produktion in Deutschland im Wettbewerb nicht überleben können. Wenn Berlin und Brüssel es weiter versäumen, beim Thema Energiekosten für faire Rahmenbedingungen zu sorgen, hat die energieintensive Industrie in Deutschland und Europa keine Zukunft mehr. Im Moment zahlen wir beispielsweise etwa 130 Euro für eine Megawattstunde Strom, letztes Jahr lag der Preis teilweise bei über 300 Euro. Dies ist mehr als das Fünffache unserer internationalen Konkurrenz. Aufgrund der bestehenden, knappen Energieerzeugung in Deutschland wird dies ohne Eingriff weiter so bleiben! Deswegen brauchen wir für einen gewissen Zeitraum einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis von etwa 40 Euro pro Megawattstunde, bis die Verfügbarkeit über den Markt sichergestellt ist.

Darüber hinaus benötigen wir einen Fahrplan seitens der Bundesregierung über das Angebot an erneuerbaren Energien. Wir müssen mehr grüne Energie zur Verfügung gestellt bekommen, um den industriellen Wandel voranzutreiben.

Kostet die Produktion von „grünem Stahl“ entsprechend mehr?

Ja, alleine schon, weil der Zukauf von erneuerbaren Energien sich auf den Endpreis unserer Produkte auswirkt. Es ist zunehmend so, dass immer mehr Kunden bereit sind, diesen Aufpreis zu bezahlen. Denn sie benötigen für ihre Produkte immer häufiger Materialien und Komponenten, die einen niedrigen CO2-Fußabdruck, also Product Carbon Footprint (PCF) aufweisen. So können unsere Kunden ihren eigenen PCF weiter reduzieren. Der Markt steht gerade am Anfang dieser Entwicklung. Als GMH Gruppe gehen wir aber davon aus, dass sich dies in den kommenden Jahren beschleunigen wird und die Fähigkeit, nachhaltig(er)e Produkte zu liefern, wettbewerbsentscheidend sein wird. Daher ist unsere Strategie für die kommenden Jahre die Weiterentwicklung unserer nachhaltigen Produktion von grünem Stahl.

Können Sie gegen die weltweite Konkurrenz preislich mithalten – gerade, wenn die nicht grün produzieren?

Wenn wir rein nach den Preisen gehen, muss man ganz klar sagen: Nein! Zumindest dann nicht, wenn wir über Standardprodukte sprechen. Da wir aber zu einem großen Teil hochspezialisierte Stähle liefern, können wir uns immer noch im Markt behaupten. Wir gehen davon aus, dass sich der Markt weiter für grünen Stahl öffnet, weil die Dekarbonisierung zu einem gesamtgesellschaftlichen Ziel geworden ist.

Gehen Ihre Kunden, also zum Beispiel Autohersteller, diesen Weg mit?

Immer mehr Automobilhersteller ziehen den Einsatz von grünem Stahl in ihrer Lieferkette vor, um die von der Regierung geforderte Reduzierung von CO2-Emissionen zu erreichen. Wir gehen davon aus, dass auch zukünftig die Endkonsumenten stärker nach grünen Investitions-Produkten wie Autos fragen werden!

Ist es ein Zufall, dass Sie als ein Familienunternehmen Vorreiter sind?

Wir sind Unternehmer mit dem Ziel langfristige Werte zu schaffen. Somit ist das kein Zufall, dass wir trotz unserer Größe von 6000 Mitarbeitenden immer noch ein ganzes Stück flexibler und agiler sind. Entscheidungen werden schnell und im langfristigen Interesse umgesetzt und sind nicht am kurzfristigen Kapitalmarkt orientiert. Dabei setzen wir auf die Expertise und unternehmerischen Ideen unserer Mitarbeiter, um das Unternehmen voranzubringen. Es ist uns ganz wichtig, hier Hand-in-Hand zu arbeiten und Entscheidungen nicht in einer Endlosschleife aus Gremiensitzungen und Freigabeprozessen versanden zu lassen.

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