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Zukunftsmärkte > Herausforderungen für die globale Halbleiterbranche

TSMC kommt nach Deutschland – doch die Branche kämpft längst mit Problemen

Überkapazitäten, Billigkonkurrenz und langsame Bauzeiten in den USA und vor allem in Europa machen den Chipherstellern zu schaffen. Die Entscheidung von TSMC für Dresden erscheint vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht.

Der thaiwanesische Chiphersteller TSMC will in Dresden eine Halbleiterfabrik errichten. Bildnachweis: picture alliance / CFOTO

US-Amerikanische Hersteller von Mikrochips erwirtschaften ein Drittel des weltweiten Halbleiterumsatzes. Sie entwickeln die anspruchsvollsten Mikroprozessoren der Welt, die die meisten Smartphones, Rechenzentren und zunehmend auch Modelle für künstliche Intelligenz (KI) antreiben. Doch weder die amerikanischen Firmen noch ihre asiatischen Auftragsfertiger stellen solche Spitzenchips in Amerika her. Angesichts der zentralen Bedeutung von Chips für die moderne Wirtschaft - und im Zeitalter der KI auch für die Kriegsführung - bereitet dies den politischen Entscheidungsträgern in Washington Sorgen. 

Ihre Antwort war das Chips-Gesetz, wobei „Chips“ für „Creating Helpful Incentives to Produce Semiconductors and Science“. Steht. Dahinter verbirgt sich ein 50-Milliarden-Dollar-Paket mit Subventionen, Steuergutschriften und anderen Vergünstigungen, um die fortschrittliche Chipfertigung wieder nach Amerika zu holen, das Präsident Joe Biden am 9. August 2022 unterzeichnete.
Oberflächlich betrachtet, scheint das Gesetz Wirkung zu zeigen. Seit 2020, als das Gesetz erstmals verabschiedet wurde, haben die Chiphersteller Investitionen im Wert von mehr als 200 Mrd. Dollar in Amerika angekündigt. Wenn alles nach Plan läuft, werden die amerikanischen Chipfabriken (Fabs, in der Fachsprache) bis 2025 rund 18 Prozent der weltweit führenden Chips herstellen. TSMC, ein taiwanesischer Produktionsriese, der gerade auch in Dresden entschieden hat, ein Werk hochzuziehen, investiert 40 Milliarden Dollar in zwei Fabriken in Arizona. Samsung aus Südkorea investiert 17 Milliarden in Texas. Intel, Amerikas Champion in der Chipherstellung, wird 40 Milliarden für vier Fabriken in Arizona und Ohio ausgeben. Während das Chips-Gesetz seinen ersten Geburtstag feiert und die Regierung sich darauf vorbereitet, die Gelder zu verteilen, betrachten sowohl Demokraten als auch Republikaner, die sich in diesen Tagen sonst kaum einig sind, das Gesetz als einen parteiübergreifenden Triumph.

Jeder Triumphalismus könnte jedoch verfrüht sein. Spitzenfertigungsanlagen, die in Amerika gebaut werden, sind langsamer zu errichten, teurer im Betrieb und kleiner als die in Asien. Erschwerend kommt hinzu, dass die amerikanische Investitionswelle der Chiphersteller zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich die Nachfrage nach ihren Produkten zumindest kurzfristig abzukühlen scheint. Das könnte Folgen für die langfristige Rentabilität der Branche haben.

Das Centre for Security and Emerging Technology, ein Think-Tank, schätzt, dass Unternehmen in China und Taiwan ein neues Werk in etwa 650 Tagen errichten. In Amerika müssen sich die Hersteller durch ein Dickicht von Vorschriften auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene kämpfen, wodurch sich die durchschnittliche Bauzeit auf 900 Tage verlängert. TSMC kalkuliert in Dresden mit mehr als 1000 tagen Bauzeit. Der Bau, der etwa die Hälfte der Investitionskosten für eine neue Fabrik ausmacht, kann in Amerika 40 Prozent mehr kosten als in Asien. Ein Teil dieser Mehrkosten kann durch die Zuschüsse des Chips-Gesetzes aufgefangen werden. Es bleiben aber immer noch die jährlichen Betriebskosten, die in Amerika um 30 Prozent höher sind als in Asien, was zum Teil auf die höheren Löhne für amerikanische Arbeiter zurückzuführen ist. Falls diese überhaupt gefunden werden können: Im Juli verschob TSMC den Start seiner ersten Fabrik in Arizona um ein Jahr auf 2025, weil es nicht genügend Arbeiter mit Erfahrung in der Halbleiterindustrie finden konnte.

Die geringe Größe der geplanten amerikanischen Projekte untergräbt die Wirtschaftlichkeit zusätzlich. Je mehr Chips eine Fabrik herstellt, desto niedriger sind die Stückkosten. In Arizona plant TSMC die Herstellung von 50.000 Wafern pro Monat - das entspricht zwei "Mega-Fabs", wie das Unternehmen sie nennt. Zu Hause in Taiwan betreibt TSMC vier "Giga-Fabs", die jeweils mindestens 100.000 Wafer pro Monat produzieren (zusätzlich zu den zahlreichen Mega-Fabs). Morris Chang, der Gründer von TSMC, hat davor gewarnt, dass in Amerika hergestellte Chips teurer sein werden.

C.C. Wei, der derzeitige Vorstandsvorsitzende von TSMC, hat angedeutet, dass das Unternehmen diese höheren Kosten auffangen wird. Er kann sich das leisten, weil TSMC den Löwenanteil seiner Chips weiterhin billiger in Taiwan und nicht in Amerika herstellen wird. Das Gleiche gilt für Samsung, das fast 90 Prozent seines Kapitalbudgets im Inland ausgeben wird. Selbst Intel investiert mehr in ausländische als in amerikanische Fabriken. Wenn alle geplanten Investitionen getätigt werden, werden die Amerikaner genug Spitzenchips produzieren, um gerade einmal ein Drittel der inländischen Nachfrage zu decken. Apple wird die High-End-Prozessoren für seine iPhones weiterhin aus Taiwan beziehen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wird dies auch für Amerikas aufstrebenden KI-Industriekomplex gelten.

Das Gesetz könnte auch unbeabsichtigte Folgen haben. Chipfirmen, die staatliche Beihilfen annehmen, dürfen ihre Produktionskapazitäten in China nicht ausbauen. Das hemmt nicht den Wunsch von Unternehmen wie TSMC und Samsung, die viele chinesische Kunden haben, mehr in amerikanische Fabriken zu investieren.

Nach Angaben von SEMI, einer Forschungsgruppe der Branche, stellte China 2019 etwa ein Fünftel der so genannten "Trailing-Edge"-Chips her, die in Waschmaschinen, Autos und Flugzeugen zum Einsatz kommen. Bis 2025 wird das Land mehr als ein Drittel produzieren. Im Juli warnte NXP Semiconductor, ein niederländischer Hersteller von "Trailing-Edge"-Chips, dass ein übermäßiges Angebot chinesischer Firmen die Preise unter Druck setzt. Langfristig könnte dies den teureren westlichen Herstellern schaden - oder sogar einige von ihnen aus dem Geschäft drängen. Im Juli räumte Gina Raimondo, Amerikas Handelsministerin, ein, dass Chinas Konzentration auf  die günstigen Chips „ein Problem ist, über das wir nachdenken müssen".

Am schwersten abzuschätzen sind die Auswirkungen des Chips-Gesetzes auf den berüchtigten Boom-and-Bust-Zyklus der Halbleiterindustrie. Normalerweise würden die Chiphersteller ihre Kapazitäten in Zeiten steigender Nachfrage erhöhen. Im Moment ist das Gegenteil der Fall. An die Stelle der pandemischen Chip-Knappheit ist ein Überangebot getreten, da der unstillbare Appetit der Verbraucher nach allem, was digital ist, gesättigt zu sein scheint. Der Umsatz von TSMC ging im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozent  zurück, und das Unternehmen erwartet nun einen ähnlichen Rückgang für das gesamte Jahr 2023. Der Umsatz von Intel sank in den drei Monaten bis Juni um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Samsung machte ein Überangebot an Chips für seinen Umsatz- und Gewinnrückgang verantwortlich. Der Aktienkurs von Intel ist nur noch halb so hoch wie bei seinem jüngsten Höchststand Anfang 2021.

Die Führungskräfte der Chipindustrie betonen, dass die Aussichten für ihre Branche weiterhin rosig sind. Sie haben wahrscheinlich Recht, dass die Nachfrage irgendwann wieder anziehen wird. Doch die „Bestandsanpassung" – also der Abbau des Überangebots - dauert länger als erwartet. Und wenn sich die Bestände endlich anpassen, könnte das Geschäft, das daraus entsteht, weniger lukrativ sein. Seit Anfang 2021 haben Intel, Samsung und TSMC ein Drittel ihres gemeinsamen Marktwerts verloren, also fast eine halbe Billion Dollar. Möglicherweise sind noch ein paar weitere Jahrestage nötig, bevor die Auswirkungen des Chips-Gesetzes auf die wirtschaftliche Sicherheit Amerikas richtig bewertet werden können. Die Anleger haben sich bereits ihre Meinung gebildet.

© 2023 The Economist Newspaper Limited. All rights reserved.

Aus The Economist, übersetzt von der Markt & Mittelstand Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com

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