Viel Geld, kein Impfstoff: Was macht eigentlich Curevac?
Vor einem Jahr avancierte das Tübinger Unternehmen zum Hoffnungsträger in Sachen Impfstoff. Der Bund stieg sogar ein, um die Entwicklung zu beschleunigen. Seitdem haben alle möglichen Unternehmen Corona-Impfstoffe auf den Markt gebracht. Nur Curevac nicht. Kommt da noch was?
Neulich, da waren sie in Tübingen wieder aufgeregt. "Nobelpreis: Curevac-Gründer Ingmar Hoerr ist nominiert", titelte das örtliche Tagblatt. Auch Oberbürgermeister Boris Palmer gratulierte schonmal und verwies darauf, dass die Stadt den prominenten Bürger bereits im Dezember mit einer eigenen Auszeichnung geehrt habe. Schließlich sei Hoerrs Forschung zum so genannten mRNA-Verfahren, aus dem zuerst die Firma Curevac und dann ein möglicher Corona-Impfstoff entstand, von epochaler Bedeutung. Das ist nun schon wieder einige Wochen her. Und man muss sagen: Hoerrs Forschung ist wirklich revolutionär. Aber wie schaut es nun mit der Praxis aus? Der versprochene Impfstoff, der aus dieser Forschung hervorgehen sollte, lässt jedenfalls weiter auf sich warten.
Man erzählt sich in Deutschlands Forschungslandschaft gerne von einem Dilemma: Der Standort Deutschland, heißt es, sei in Sachen Forschung einer der besten der Welt. Nur in Sachen Umsetzung dieser Forschung in marktreife Produkte, da hapere es. Und es scheint, als sei Curevac nicht nur der jüngste sondern auch einer der eindrucksvollsten Beweise für diese Feststellung. Fast ein Jahr ist es nun her, dass die Bundesregierung sich über die KfW mit etwa 300 Millionen Euro an der Tübinger Firma Curevac beteiligte. So wollte Berlin sicherstellen, dass aus den bahnbrechenden Forschungsergebnissen schnell ein marktreifer Impfstoff werde. Im Verlauf des Jahres schoss des Bundesforschungsministerium dann weitere gut 250 Millionen Euro nach, um die Entwicklung zu beschleunigen. Nun ist es mittlerweile Frühjahr 2021 – BionTech aus Mainz hat einen Impfstoff auf den Markt gebracht, sogar auf Basis der gleichen Technologie wie Curevac. Auch AstraZeneca gelang die Markteinführung, ebenso Johnson&Johnson. Selbst über die Lizenzfertigung des russischen Impfstoffs Sputnik V spricht ganz Europa – nur der mit viel Steuergeld gepäppelte Impfstoff aus Tübingen, von dem hat bisher niemand etwas gesehen. Was ist da los?
"Wir haben einen Fahrplan"
Wer sich bei Curevac in Tübingen umhört, bekommt zunächst viel geschäftiges Gewusel mit. Seitdem sich weltweit herumsprach, dass die schwäbische Firma auf Patenten für die Entwicklung unglaublich vielversprechender Impfstoffe sitzt, wuchs die Firma immens. Allein um gut 200 Mitarbeiter im vergangenen Jahr. Das versetzt so ein mittelständisches Unternehmen in Bewegung. Und Mitarbeiter spüren den Druck, auf die Hoffnung auch Taten folgen zu lassen. Nach außen gibt man sich aber gelassen. "Natürlich haben wir einen Fahrplan", sagt Curevac-Sprecher Thorsten Schüller. Nur scheint dieser nach einem ähnlichen Muster wie bei der Deutschen Bahn gestrickt zu sein.
Denn während der Unternehmenssprecher noch Gelassenheit signalisiert, kursiert in Berlin ein Papier, über das das Portal Business Insider zuerst berichtete. Die Liste stammt aus dem Bundesgesundheitsministerium und relativiert die Erwartungen an einen schnellen Einsatz des Curevac-Impfstoffes weiter. Für das zweite Quartal rechnet das Bundesgesundheitsministerium demnach nur noch mit 1,4 Millionen statt ursprünglich angesetzten 3,5 Millionen Dosen des Curevac-Impfstoffs. Auch im dritten Quartal bleibe der Stoff aus Tübingen knapp, erst ab Oktober sei mit einem Einsatz wie geplant zu rechnen.
"Bis zu 300 Millionen Dosen bis Jahresende"
Bei Unternehmenssprecher Schüller klingt das so: "Sobald wir die Ergebnisse aus unserer laufenden klinischen Studie 2b/3 haben, wollen wir im zweiten Quartal 2021 bei der EMA einen Zulassungsantrag stellen." Damit allerdings ist der Impfstoff noch nicht auf dem Markt. Schüller: "Sobald dieser genehmigt ist, werden wir die ersten Mengen ausliefern. Insgesamt kalkulieren wir für dieses Jahr mit einer Produktion von bis zu 300 Millionen Dosen." Oder in anderen Worten: das Unternehmen kann oder will sich nach wie vor nicht konkret festlegen. Die erneute Verzögerung begründet man in Tübingen damit, dass man die Auswirkungen der Mutanten auf die Wirkung des Stoffes gründlich prüfen wolle.
Das Begutachtungsverfahren in Form eines Rolling Review bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA läuft seit 12. Februar und sollte eigentlich in diesen Tagen abgeschlossen werden. Auch der designierte Vorstandschefs des Chemieunternehmens Wacker, Christian Hartel, sagte in den vergangen Tagen, er erwarte die Zulassung durch die EU-Arzneimittelbehörde EMA bis Anfang Mai. Wacker will noch in diesem Frühjahr mit der Auftragsproduktion des Corona-Impfstoffs für Curevac beginnen. Bis Juli soll die Produktion dann auf die volle Kapazität von 100 Millionen Impfdosen pro Jahr erhöht werden. Curevac hatte, auch auf Druck aus der Politik, mit mehreren Unternehmen Auftragsfertigung vereinbart, um die Einführung des Stoffes zu beschleunigen. Neben Wacker soll etwa auch Bayer das Mittel produzieren.
Als Hoffnungsträger ein Ausfall
Tatsächlich wird auch, sollte das Mittel im Laufe des Jahres eingeführt werden, gerade weltweit ausreichend Bedarf nach dem Stoff herrschen. Nur als Hoffnungsträger, um aus dem deutschen Dauer-Lockdown zu kommen, fällt das Mittel nun garantiert aus. Dabei waren genau das die Hoffnungen, als Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor neun Monaten Anteile an dem Unternehmen erwarb. Mit dem frischen Bundesgeld sollte Impfstoff strategisch in Deutschland gesichert und die Entwicklung beschleunigt werden. Ordnungspolitiker, wie der ehemalige FDP-Wirtschaftsminister Walter Döring, kritisierten damals schon diesen eher "willkürlichen" Eingriff in die Marktwirtschaft und die einseitige Festlegung auf ein Unternehmen. "Eine potenzielle Gefahr für den freien Wettbewerb", sah auch der oberste deutsche Monopolforscher Achim Wambach. "Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, gewinnen schon allein durch diese Tatsache einen Vorteil." Nun, zweiteres stimmte offensichtlich nicht, dennoch hat der Einstieg der bundeseigenen KfW die Tübinger nicht beschleunigt.
Dabei ist Curevac nach wie vor eine Geschichte wie aus dem Wirtschaftsmärchenbuch. Gegründet in Tübingen ist eines der ganz wenigen deutschen Einhörner, wie milliardenschwere Unternehmensneugründungen heißen. Einerseits ist Curevac seit seiner Gründung im Jahr 2000 durch den langjährige CEO Ingmar Hoerr die schwäbische Antwort auf alle deutschen Fragen über Gründerkultur und Hochtechnologie. Das Unternehmen, an dem auch SAP-Gründer Dietmar Hopp beteiligt ist, fährt seit Jahren Milliardenbewertungen ein, hat Standorte in verschiedenen Teilen der Welt. Ein deutsches Wirtschaftswunder Made im 21. Jahrhundert. Einerseits. Andererseits ist es auch schon seit Jahren ein Hoffnungsträger, dessen ganz großer Durchbruch bisher eben Hoffnung blieb.
Einzigartig forschungsstark
Die Technologie des Unternehmens wird von vielen geschätzt und macht es im Vergleich zu anderen Biotechfirmen einzigartig: Gründer Hoerr fand als Doktorand heraus, dass das instabile Biomolekül mRNA bei direkter Verabreichung ins Gewebe als therapeutischer Impf- oder Wirkstoff eingesetzt werden kann, wenn es zuvor optimiert wird. Diese Optimierung, das ist das Kerngeschäft der 650 Mitarbeiter. Es gibt zwar auch Zweifler an dieser Technik, die verstummen aber zunehmend. Spätestens, seitdem BionTech aus Mainz das Potenzial der Technik bewiesen hat.
Perspektivisch, da sind sich alle Beobachter einig, schlummert in der Technologie Revolutionäres. Weit über Corona hinaus. Der Durchbruch der MRNA könnte auf die gesamte Biotech-Szene in Deutschland und Europa abfärben. Und würde bedeuten, dass mehr Wagniskapitalgeber bereitwilliger Wachstumsmittel bereitstellen, dass mehr Studenten Biotechnologie als Studiengang oder Schwerpunkt wählen und dass Konzerne eher bereit sind, Partnerschaften mit Biotechs in Deutschland einzugehen. Schritt für Schritt könnte so ein stärkeres Ökosystem entstehen. Das Fachblatt Nature Biotechnology schreibt bereits von einer "Renaissance" in dem Bereich. Ob Pionier Curevac dann noch dabei ist? Das entscheidet sich in den nächsten Wochen – ob es gelingt, das Produkt endlich auf den Markt zu bringen. Oder nicht.