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Debatte > Kommentar zum Wachstumschancengesetz

Beim Wachstumschancengesetz fehlt der Mut

Kann mit diesen Summen wirklich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessert werden? Das Wachstumschancengesetz ist ein zerfledderter Bettvorleger noch bevor der Bär erlegt ist, kommentiert Andreas Kempf.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Bildnachweis: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Es gehört zum Handwerk der Politik, eigene Vorhaben möglichst blumig zu garnieren. „Mehr Fortschritt wagen“ steht über dem Koalitionsvertrag der Ampel. Ein ähnliches Papier aus dem Jahr 2018 trug den Titel „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Politiker aller Couleur setzen darauf, dass der Bürger schnell vergisst und die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht realisiert. Doch beim „Wachstumschancengesetz“ wird das nicht gelingen. Hier droht ein zerfledderter Bettvorleger noch bevor der Bär erlegt ist. Wobei nicht einmal sicher ist, ob der Bundesrat dem Vorhaben im März überhaupt zustimmen wird.

Schon der erste Anlauf war eine Mogelpackung. Entlastungen von 7,5 Milliarden Euro stellte Finanzminister Christian Lindner im Herbst der Wirtschaft in Aussicht. Die gleichzeitig beschlossene Erhöhung von Maut und CO2-Abgaben spülen dem Fiskus jährlich knapp acht Milliarden Euro zusätzlich in die Kassen. Zudem mussten die Länder feststellen, dass sie ein Teil von Lindners Großzügigkeit finanzieren sollten. Nach langen Debatten sind jetzt noch 3,8 Milliarden Euro geblieben.  Doch selbst dieses Nasenwasser soll es nicht geben. Denn die Union verknüpft die Chancen für die Wirtschaft mit dem Agrardiesel für die Bauern. Bleibt die Subvention für ihre potenzielle Wähler nicht erhalten, sollen die Unternehmen schauen, wo sie bleiben. Das ist Populismus und keine Politik fürs Land.

Beim „Wachstumschancengesetz“ geht nicht darum, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu verbessern. Wer das will, müsste nämlich mit ganz anderen Summen hantieren. So pusht die Regierung in Washington den Ausbau der Wirtschaft in Richtung Zukunftstechnologien mit dem „Inflation Reduction Act“. Das hat ein Volumen von 369 Milliarden Dollar. In Deutschland – der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt – streitet man über etwas mehr als ein Prozent dieser Summe. Das führt inzwischen dazu, dass Unternehmen wie Mercedes, ZF oder Bosch neue Standorte in den USA eröffnen und so dort die gebotenen Wachstumschancen nutzen. Hierzulande denken die gleichen Konzerne über den Abbau von Arbeitsplätzen und die Schließung von Standorten nach.

Die Unternehmen zeigen immer deutlicher, was sie von dem Stillstand in der Wirtschaftspolitik halten. Eigentlich müssten vom kleinsten Gemeinderat bis hinauf in die Bundesregierung die Alarmglocken schrillen. Es wird höchste Zeit für aktive Standortpolitik. Die beginnt mit massiven Investitionen in die Infrastruktur. Es fehlt an beispielsweise an belastbaren Verkehrswegen, Energieversorgung, Bildungseinrichtungen, Forschungsstätten sowie bezahlbarem Wohnraum. Außerdem ist dieses reiche Land heute nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Würde man also hier konsequent ansetzen, dann entfachte Deutschland ein Konjunkturfeuer, das Wachstum bis weit in die nächste Dekade generieren würde.

Natürlich kosten solche Investitionen Geld. Aber wer nur darauf schaut, ob gerade genug in der Kasse ist, verwechselt Wirtschaftspolitik mit dem Ausgabenheftlein der „schwäbischen Hausfrau“. Investitionen in eine moderne Infrastruktur fördern wachsende Umsätze und bringen mehr Steuerzahler. Das refinanziert die jetzt notwendigen Schulde und sorgt auch dafür, dass die steigenden Ausgaben für Gesundheit und Renten langfristig gestemmt werden können. Wer sparen will, kann die völlig aus dem Ruder gelaufene Bürokratie eindampfen. 

Unsere Unternehmen sind innovativ und im Prinzip auch weltweit wettbewerbsfähig. Doch sie brauchen entsprechende Rahmenbedingungen. Wirtschaftspolitik reicht nun mal über Legislaturperioden hinaus. Wer nur die nächste Wahl im Blick hat, ist der Aufgabe nicht gewachsen. Wer Deutschland voranbringen will, sollte sich parteiübergreifend ein neues Arbeitsziel setzen: „Mehr Verantwortung wagen. Jetzt!“
 

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