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Mindestlohn-Einigung mit Augenmaß

Die Höhe des Mindestlohns betrifft 15 Prozent der Beschäftigten direkt, aber noch viel mehr indirekt. Die Arbeitgeber haben sich durchgesetzt, die nun beschlossene Erhöhung auf 12,41 Euro ist erträglich. Gut so, kommentiert Thorsten Giersch.

Der Mindestohn wird zum 1.1.2024 vergleichsweise geringfügig ansteigen. Angesichts der Inflation hätten sich Gewerkschaften mehr gewünscht.

Mein VWL-Professor hatte stets gesagt: Ein Mindestlohn ist weder gut noch schlecht, es kommt auf die Höhe an. Das war zu einer Zeit, in der die allermeisten Deutschen, die sich für Wirtschaft interessierten, Mindestlohn wahlweise für Teufelszeug hielten oder den direkten Weg zu Masseninsolvenz. Genau deshalb wurde ein Expertenrat eingerichtet, der der Politik eine klare Vorgabe machen soll im Hinblick auf die Höhe. Daran hat sich die Politik nicht immer gehalten – dazu später – aber jetzt etwas überraschend schon.

Entsprechend ist eine Entscheidung von Hubertus Heil zu begrüßen, dem Augenmaß-Vorschlag der zuständigen Kommission zu folgen. Nun steigt der Mindestlohn zum 1. Januar 2024 also „nur“ auf 12,41 Euro. Ein Jahr später auf 12,82 Euro pro Stunde. Es ist ein Sieg der Arbeitgeber in der Mindestlohnkommission, die Gewerkschaften tragen die Entscheidung aus Protest nicht mit.  Heil selbst hatte allerdings auch nur theoretisch eine Wahl: Entweder er setzt die 12,41 Euro um oder ignoriert die Empfehlung. Hätte er sich aber erneut über den Beschluss der Kommission hinweggesetzt, wäre es das zweite Mal und das Gremium stünde blamiert da.

Obwohl die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 versprach, dass die Kommission frei und unabhängig arbeiten kann, hatte Heil zu Ostern Druck aufgebaut. Laut und vernehmbar nannte er seine klare Erwartung, dass sie in diesem Jahr eine „deutliche Erhöhung“ des Mindestlohns beschließen werde. Das ist weder guter Stil noch so gekommen. Und damit ein gutes Zeichen, dass Abläufe hierzulande immer noch funktionieren.

Heil weiß natürlich, dass Arbeitnehmer und Gewerkschaften sich einen höheren Mindestlohn gewünscht hätten. Erstmals entschied die Kommission nicht im Konsens. In dem Gremium sitzen je drei Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern und zwei Wissenschaftler, diese allerdings kein Stimmrecht haben. Entscheidend war die Stimme der Kommissionsvorsitzenden Christiane Schönefeld, die bis Ende September übrigens Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit war. Sie entschied gegen die Arbeitnehmervertreter – nach langen Verhandlungen, die Morgensonne war wohl schon an Himmel zu sehen.

„Die Positionen lagen sehr weit auseinander“, sagte Schönefeld nach der Marathonsitzung. Mit der gefundenen Lösung nähere man sich dem Ziel, 60 Prozent des Medianlohns aller Beschäftigten zu erreichen. Mit solchen Statistiken können Gewerkschaften naturgemäß wenig anfangen. Auch hier argumentierten sie mit einem kleinen, ihnen genehmen Ausschnitt der Zahlen. Stefan Körzell begründete, dass er den Kompromiss in der Kommission nicht mittrug: „Für eine Anpassung lediglich im Cent-Bereich konnten wir auf keinen Fall unsere Hand reichen“, sagte das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). „Um einen Mindest-schutz und einen Ausgleich der Inflation zu gewährleisten, hätte der Mindestlohn zumindest auf 13,50 Euro steigen müssen.“

Bei dieser Argumentation bleibt auf der Strecke, dass der Mindestlohn in den vergangenen Jahren deutlich stärker anstieg als die Inflation. Allein im Oktober 2022 mussten Arbeitgeber mit einer Steigerung von 15 Prozent fertigwerden. Jetzt ist Rezession und die Herausforderungen gewaltig: „Für die Wirtschaft ist die Lage ernst“, betonte Steffen Kampeter zurecht, der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Zu glauben, dass Handel, Gastronomie und Co die steigenden Preise abermals auf Kunden abwälzen können, wäre sehr optimistisch. Selbst bei dem aktuellen Reiseverhalten der Deutschen ist abzulesen, dass weite Teile der Gesellschaft inzwischen auf jeden Cent achten. Der Personalmangel wird es ohnehin nötig machen, mehr als den Mindestlohn zu zahlen. Die moderate Regelung für 2024 und 2025 bietet Planungssicherheit und ist ein gutes Signal für den Standort Deutschland. Und davon gab es zuletzt ja nicht allzu viele.

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