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Recht und Steuern > Mietnomaden

Sie sind Vermieter? Lernen Sie Demut.

Unsere Autorin ist auf einen Mietnomaden hereingefallen. Selbst als der in den Knast wandert, kommt sie nicht in ihre Wohnung. Das deutsche Mietrecht lässt Immobilienbesitzern wenig Möglichkeiten, sich zu wehren. Manche lassen deswegen ihre Wohnung lieber leer stehen und verschärfen damit den Wohnraum-Mangel.

Man schaut den Menschen nur vor den Kopf: Viele Vermieter lassen Ihre Wohnung lieber leer stehen, als potentiellen Mietnomaden auf den Leim zu gehen. Bild: Shutterstock

Zwei Zimmer, Küche-Dusche-Bad, Wirtschaftsraum, 68 Quadratmeter plus Balkon in einem kleinen Dorf in Norddeutschland. Gepflegtes Haus, nette Nachbarn. Man kennt sich, man hilft sich. Und demnächst trinken sich wieder alle einen auf dem Schützenfest. Und weil auf dem norddeutschen Dorf nicht nur andere Sitten, sondern auch andere Preise gelten, nehmen Sie für ihre Wohnung Baujahr 2014 eine Kaltmiete, bei der Düsseldorfer Vermieter zum Beispiel vor Lachen unterm Tisch liegen. Dafür der ganze Aufwand? Maximal zwei Prozent Rendite, und nachts ruft der Mieter noch an, weil der Wasserhahn tropft?

Ich mache genau das. Ich bin ein (sehr kleiner) Immobilienhai. Nicht, dass ich das jemals wollte. Ich lebe zur Miete im Rheinland. Besagte Wohnung habe ich geerbt, die Hausverwaltung funktionierte. Wunderbar. Man wird ja nicht dümmer, wenn man sich an Immobilien versucht. Man wird sogar klüger. Ich weiß jetzt präzise, welche Rechte eine Vermieterin hat, wenn ihr Mieter einzieht, keine Miete zahlt, keine Kaution stellt und dann noch – warum auch immer – im Knast landet.

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt. Ein Mieter Ende Dreißig stellte sich bei der Hausverwaltung vor, hinterließ einen seriösen Eindruck, legte seine Gehaltsabrechnung eines örtlichen Betriebs vor und wurde mir von der Verwalterin als bester Kandidat empfohlen. Ich sagte zu. Das war der erste Fehler, denn seine vorgezeigte, aktuelle Lohnabrechnung war auch seine letzte. Kurz darauf verlor er seinen Job in der Probezeit.

Zwei Monate später schüttelt sich die Rechtsanwältin von „Haus und Grund“ im Telefonat mit der ratlosen Vermieterin und schilt: „Sie brauchen doch auch die Seite des Arbeitsvertrags, aus der Sie erkennen, wie lange das Arbeitsverhältnis schon läuft! Sonst wissen Sie nie, ob derjenige wirklich ein festes Arbeitsverhältnis hat. Und wieso haben Sie keine Schufa-Auskunft eingeholt?“ Für den diplomatischen Dienst wäre die Anwältin nicht die erste Wahl, aber Klartext kann sie.

Der nächste Fehler: Der neue Mieter bekommt den Hausschlüssel von der Verwalterin, noch bevor er die erste Miete gezahlt oder die Kaution überwiesen hat. Dem großstädtischen Vermieter graust es jetzt vor so viel gutem Willen. Der Vermieter auf dem Dorf – hier geht vieles noch per Handschlag – kennt das so. Die Anwältin von „Haus und Grund“ stellt klar: „Niemals, niemals geben Sie den Schlüssel aus der Hand ohne Zahlungseingang auf ihrem Konto!“ Ich war’s doch gar nicht. „Niemals, niemals erlauben Sie Ihrer Hausverwaltung, den Schlüssel rauszurücken!“ Dann spricht sie noch Klartext zur Hausverwaltung.

Zum 1. Mai zog der Mieter ein. Er zahlte weder im Mai noch im Juni, sondern erklärte stattdessen, ihm sei gekündigt worden, und er habe die Anträge beim Amt auf Mietzuschuss schon gestellt.

Von da an reicht es mir. Und ich lerne wieder dazu: Zwei nicht gezahlte Mieten in Folge sind zwar ein Kündigungsgrund. Aber erst einmal hat der Mieter eine sogenannte Schonfrist. Nämlich weitere zwei Monate Zeit, um die Mietschulden zu begleichen. Da sind wir dann schon bei vier Monaten Leben für lau in meiner Wohnung. Es wird aber noch besser. Jeder Einmietbetrüger (Fachausdruck für Personen, die eine Wohnung anmieten, ohne sie bezahlen zu können oder zu wollen) weiß, was zu tun ist. Einen Monat Miete zahlen, einen Monat prellen, einen Monat zahlen, einen Monat prellen – und so weiter. So greift die Zwei-Monats-Regel nicht.

Im Freundeskreis kennt sich ein echter Immobilienhai mit Betrügern aus. Der letzte hatte ihm zwei zahme Ratten zum Verdursten in der Wohnung zurückgelassen. Der Freund brach die Wohnungstür auf – streng verboten! – und brachte die halbtoten Tiere ins Tierheim. Sein Rat an mich: Nicht lange fackeln, Anwalt beauftragen. Inzwischen kam nämlich an einem sonnigen Samstagnachmittag per WhatsApp auch noch Nachricht von der Hausverwaltung: Der Mieter sitzt jetzt in Nordrhein-Westfalen in Untersuchungshaft.

Also googelte ich: „Mieter im Gefängnis“ und lernte noch einmal fürs Leben. Ist der Mieter nämlich nicht länger als in der Regel sechs Monate in U-Haft, gibt es die Option, dass der Staat seine Miete übernimmt. Er kann, er muss aber nicht. Bei längerer Haft verzichtet der Staat darauf, die Wohnung des Häftlings aus Steuergeld zwecks Resozialisierung weiterzubezahlen. Also stellt sich die Frage: Wie lange bleibt der Herr eingebuchtet? Könnte das noch mit einem blauen Auge für mich ausgehen?

Nicht verzagen, Anwalt fragen. Ich kürze ab: Er rät zur fristlosen Kündigung wegen nicht gezahlter Miete und ersatzweise fristgerechter Kündigung, falls er die Miete jetzt doch noch schnell zahlt. Er diktiert mir Passus für Passus durchs Telefon. Kündigung schriftlich per Einschreiben, aber auf keinen Fall per Rückschein. Warum nicht? Dann kann der Mieter die Annahme verweigern und so seine Kündigung weiter hinauszögern. Richtig ist: Einschreiben mit Zustellbestätigung im Post-Onlineportal.

Ich überschlage: Dann blockiert der Typ meine Wohnung noch mindestens drei Monate. Darüber wächst mir aber schon ein neues Problem zu. Es ist Juli, tagelang herrschen 30 Grad. Die Fenster der vermieteten Wohnung stehen auf Kipp. Ich habe keinerlei Ahnung, wie es sich mit dem Müll in der Wohnung verhält. Wie stelle ich sicher, dass die Wohnung nicht vergammelt und Ungeziefer durchs Fenster einzieht, wenn der Mieter auf unbestimmte Zeit in die JVA verzogen ist? Denn inzwischen sind mehrere Haftprüfungstermine zu seinen Ungunsten beschieden worden. By the way: Sollte ich je in Haft kommen, ich kenne jetzt meine Rechte! Nach 14 Tagen muss die erste Haftprüfung erfolgen, und ein fester Wohnsitz erhöht die Chance auf Freiheit enorm. Kein Wunder, dass mir der Mieter handschriftliche Briefe schickt.
 

Es wird wärmer und wärmer. Nur einmal kurz in die Wohnung gehen und den Müll entsorgen, Lage checken? Ich frage wieder den Anwalt. „Auf gar keinen Fall! Sie dürfen die Wohnung nicht betreten. Nicht wegen Ungeziefer, nicht wegen Strom! Wegen gar nichts!“ Denn für Knastis gilt dasselbe Recht wie für Urlauber oder Mieter, die im Krankenhaus liegen: Ihre Wohnung bleibt ein geschützter Raum, in dem niemand gegen ihren Willen Zutritt hat. Betritt der Vermieter die Wohnung trotzdem, muss er mit einer Anzeige rechnen. Erst wenn nachweislich Gefahr in Verzug und die Polizei informiert vor Ort ist, darf der Vermieter die Tür öffnen. Und falls ich einen Rauchmelder gehört haben würde, täte, sollte? „Nur, wenn die Polizei den Rauchmelder auch hört!“

Ende Juli ist die Räumungsklage beantragt, vom Gericht angenommen und dem Mieter zugestellt. Heureka! Erste Anwalts- und Gerichtskosten habe ich bezahlt. Mein Verlust daraus plus Mietausfall durch den Zechpreller plus Mietausfall bis zur Neuvermietung beträgt mehrere tausend Euro. 
Mir tun alle Vermieter leid, bei denen sich der Ärger noch viel länger hinzieht. Und die Menge wichtiger juristischer Finessen ist groß. Demnächst bekomme ich einen sogenannten Titel und kann mir mein Geld von meinem Ex-Mieter zurückholen. Wie stehen die Chancen? „Tja“, sagt der Anwalt, „Sie können jetzt dreißig Jahre lang jedes zweite Jahr einen Gerichtsvollzieher beauftragen, den Wohnort ihres Ex-Mieters herauszufinden und zu checken, was bei ihm zu pfänden ist – vorausgesetzt, der verdient offiziell oberhalb des dann geltenden Selbstbehalts.“ Der Anwalt lächelt milde.

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