Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Personal > Mittel gegen Personalmangel

Woran es bei der Fachkräfte-Zuwanderung immer noch hakt

Die Reform des Zuwanderungsgesetzes soll dringend nötige ausländische Fachkräfte bringen. Hier ist Deutschland weit vorn. Doch die Verwaltung kommt oft nicht mit.

Herzliches Willkommen: Armando Rodrigues aus Portugal erhält als millionster Gastarbeiter 1964 ein Moped der Marke Zündapp. Zur Zeit des Wirtschaftswunders fehlten in Deutschland überall Arbeitskräfte. Quelle: picture-alliance/ dpa | Ossinger

Campingstühle, Decken, Thermoskannen: Wer zur Stuttgarter Ausländerbehörde in der Eberhardstraße muss, richtet sich auf eine lange Prozedur ein. Nicht jeder, der sich einreiht, bekommt am selben Tag auch wirklich einen Termin. Die Behörde in Baden-Württembergs Landeshauptstadt ist ein besonders drastisches Beispiel dafür, wie wenig an der Basis von dem angekommen ist, was Kanzler Olaf Scholz (SPD) seit Monaten als Erfolg feiert. Geht es nach der Bundesregierung, ist der Weg für ausländische Fachkräfte längst eine schnelle Autobahn ins Glück. Tatsächlich hat sich an der bürokratischen Realität nichts geändert. Es ist ein typisches Beispiel dafür, dass wirkungsreiche Politik mehr ist, als Gesetze zu ändern. Sie muss nämlich auch die behördlichen Strukturen dahinter in den Griff bekommen.

In Stuttgart übernachten regelmäßig Betroffene sogar vor der Behörde – in der Hoffnung einen Termin ergattern zu können. Die Unternehmen in der Region warten dringend auf diese Menschen, längst sollten sie in den Produktionshallen von Herstellern wie Trigema „schaffen“. Das Rote Kreuz versorgt die Wartenden in den Morgenstunden mit Getränken. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) steht angesichts der peinlichen Zustände in der Kritik. Für die Betroffenen hat er inzwischen einen Warteraum einrichten lassen. Wer ­dringend Hilfe benötigt, etwa wenn Visa oder Aufenthaltserlaubnis binnen weniger Tage ablaufen, kann sich zudem online einen Termin besorgen. Diese Lösung war ursprünglich erst für 2024 vorgesehen.

Das Chaos in der Stuttgarter Behörde macht deutlich, welche Hindernisse die deutsche Bürokratie für ausländische Fachkräfte bereits im ganz normalen Alltag aufgebaut hat. „Wenn ein indischer Ingenieur bei Bosch arbeitet und zu Porsche wechselt, braucht er einen neuen Aufenthaltstitel, weil sich die Auflage ändert, dass er nur bei Bosch arbeiten darf“, sagt der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler). In einer Stadt, in der auch noch Mercedes, Mahle, Allianz Leben, W+W, EnBW sowie viele weitere Dienstleister beheimatet sind, kommen solche Fälle zu ­Hunderten vor.

Entnervte Unternehmer

So hat auch die IT-Spezialistin Enas Abdelmaqsod erst einen Tag vor Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis nach monatelangem Warten die Verlängerung erhalten – vorläufig. „Es war so nervenaufreibend zu warten, ohne zu wissen, was passiert“, berichtet sie dem SWR. „So kann man mit Menschen nicht umgehen“, schimpft ihr Chef Benjamin Hermann, Geschäftsführer von Zoi-Tech in Stuttgart. Die Politik habe sich inzwischen von der Verwaltung entkoppelt, stellt er entnervt fest. Tatsächlich hat Baden-Württemberg mehr als 600 Millionen Euro in die Imagekampagne „The Länd“ gesteckt, um Fachkräfte aus dem In- und Ausland anzulocken. Wer kommt, trifft dann auf Bürokratie. Dem Anspruch der Politik komme die Verwaltung nicht mehr hinterher, urteilt Unternehmer Herrmann.

Die Stuttgarter Stadtverwaltung hat inzwischen 23 Mitarbeiter aus anderen Ämtern für die Arbeit in der Ausländerbehörde angeworben. Alle ­hätten sich freiwillig gemeldet, sagt Oberbürgermeister Nopper. Knapp ein Drittel der 170 Planstellen in der Ausländerbehörde sind unbesetzt. Neue Mitarbeiter zu gewinnen, sei schwieriger als anderswo – auch deshalb, weil das Ausländerrecht so komplex sei, sagt Ordnungsbürgermeister Maier. „Nicht jeder hat den Mut, sich damit zu beschäftigen.“ Zudem erfordere es ein halbes bis ein Jahr Einarbeitungszeit.

Die Unternehmen können das alles nicht mehr nachvollziehen. „Das ist ein untragbarer Zustand“, rügt Mathias Kammüller, Präsident des Maschinenbauerverbands VDMA Baden-Württemberg und Geschäftsführer beim Laserspezialisten Trumpf. Im Ausland könne er kaum noch vermitteln, warum Deutschland mit ausländischen Fachkräften so umgehe. Kammüller, der japanischer Honorarkonsul ist, musste kürzlich nachhelfen, weil ein Pianist keine Arbeitserlaubnis bekam, obwohl er einen gültigen Vertrag vorweisen konnte.

Die IHK Stuttgart und die Handwerkskammer bieten den Behörden Hilfe bei der Vorbereitung von Unterlagen an. „Die Chancen von KI zu nutzen und so vom Papierverfahren wegzukommen, wären ein Fortschritt“, rät die IHK-Hauptgeschäftsfüh­rerin Susanne Herre. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum man für jeden Schritt einen persönlichen Termin brauche. „Allein hier kann man viel Zeit sparen.“

Dazu müsste sich allerdings die Rechtslage ändern. Persönliches Erscheinen ist bisher genauso zwingend vorgeschrieben wie beglaubigte Unterlagen, die oft auch noch ins Deutsche übersetzt werden müssen – beispielsweise, wenn ein Handwerker seine Zeugnisse und seine bisherige Qualifikation nachweisen soll. Englische Übersetzungen werden da nicht akzeptiert. Oft reicht der deutschen Bürokratie die vorgelegte Qualifikation nicht. Bis zum vergangenen Sommer wurden ausländischen Lizenzen von Bus- und Lkw-Fahrern nur in einen normalen deutschen Pkw-Führerschein umgeschrieben.

Die Betroffenen hätten dann für einen fünfstelligen Betrag die langwierige deutsche Führerscheinausbildung auf sich nehmen müssen. Fahrer aus Osteuropa stiegen dann lieber in Österreich oder der Schweiz in die Laster. Hier hat der Gesetzgeber reagiert und verzichtet nun bei Berufskraftfahrern auf die Prüfung der Fahrerlaubnis. Eine Prüfung der Sprachkenntnisse soll dem Arbeitgeber obliegen. Bei IT-Spezialisten soll auf einen Sprachnachweis ganz verzichtet werden. 

„Das neue Gesetz bringt erhebliche Erleichterungen, vor allem im mittelqualifizierten Bereich“, sagt Thomas Liebig von der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD). Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen vorab, bisher ein erhebliches Hemmnis für die Fachkräftemigration, werde nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. „Das ist sehr zu begrüßen.“ Deutschland habe jetzt sogar eines der liberalsten Gesetze für die Fachkräfteeinwanderung innerhalb der OECD. Das ist auch nötig. Als sicher gilt, dass wegen der demografischen Entwicklung pro Jahr 400.000 Fachkräfte einwandern müssten. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) befürchtet bis 2035 eine Lücke von sieben Millionen Arbeits- und Fachkräften.

Nur geringer Effekt

Die Gesetze werden zwar angepasst, doch Papier ist geduldig. Welchen Einfluss die Erleichterungen konkret haben werden, hängt davon ab, wie sie praktischen umgesetzt werden. „Hier sind vor allem die Visastellen im Ausland ein Flaschenhals. Ohne zusätzliches spezialisiertes Personal werden die Erleichterungen nur einen geringen Effekt haben“, befürchtet OECD-Experte Liebig. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit können zwischen dem Entschluss, in Deutschland arbeiten zu wollen, und dem tatsächlichen Start im Job ein bis drei Jahre vergehen.

Das bestätigt auch eine Studie der OECD, die potenzielle Bewerber mehrmals befragt hat. In den sechs Monaten zwischen den beiden Runden hat es nur ein Bruchteil der Befragten nach Deutschland geschafft: knapp vier Prozent. Und dies, obwohl 80 Prozent der Personen in der ersten Befragungsrunde schon erste Schritte auf dem Weg gen Deutschland gemacht hatten.

Die zähen Verfahren schrecken auch die möglichen Arbeitgeber ab. „Die Wartezeiten sind natürlich schädlich für den Anstellungsprozess. Wenn ich eine ausländische Fachkraft sehe, die vielleicht mehrere Monate auf einen Termin mit offenem Ende warten muss, dann ist sie nicht interessant“, sagt Marius Tollenaere, Partner bei der auf Arbeitsmigration spezialisierten Kanzlei Fragomen. 


„Wir haben schon seit vielen Jahren ein tiefsitzendes strukturelles Problem. Die gesamte Migrationsverwaltung von den Ausländerbehörden im Inland über die der Bundesagentur für Arbeit bis zu den Auslandsvertretungen sind personell, materiell und technisch nicht für den tatsächlichen Bedarf ausgestattet.“ Sie seien schon gar nicht in der Lage, die Zahl an Menschen zu bewältigen, die sich der Gesetz­geber jetzt mit seiner Gesetzesänderung wünscht.

Der Fachmann sieht drei Punkte, die wirklich etwas bewegen könnten. Erstens die Sprache. Statt Geld für das Goethe-Institut zusammenzustreichen, sollte die Regierung in möglichst vielen Ländern dafür sorgen, Deutsch als zweite oder dritte Sprache in den Fokus zu rücken, also Sprachangebote schaffen. Zweitens sollte Deutschland seine Ausbildungs- und Anerkennungssysteme so anpassen, dass zumindest ein gewisser Teil der Welt pragmatisch einwandern kann. Das neue Einwanderungsgesetz hilft zwar, es könnte aber vor allem beim Thema ausländische Abschlüsse besser sein. Sein dritter Punkt bezieht sich auf Dienstleister in der Kette, also vor allem Zeitarbeitsfirmen. „Wenn wir diese gesamte Kette von Personalsuche, Matching, Immigration und Einreise nach Deutschland besser machen wollen, dann muss der Staat einen Rahmen setzen, in dem private Anbieter wirklich ihrer Tätigkeit nachgehen können“, sagt Tollenaere.


Selbst viele global aktive Mittelständler haben in ihren Personalabteilungen gar nicht die Ressourcen, um auch global Personal anzuwerben. Professionelle Dienstleister sind nötig. Aber Gewerkschaften und Bundesarbeitsministerium sehen den Einsatz von Zeitarbeitsfirmen sehr kritisch. Auch nach der Reform bleibt es bis auf kleine Ausnahmen im sehr hoch qualifizierten Bereich so, dass Arbeitnehmerüberlassung nicht Teil von Einwanderung ist. Dabei können gute Vermittler das Anwerben im Ausland erst einmal übernehmen und Zeitarbeitsfirmen einsetzen, um Arbeitgeber in Deutschland mit Personen aus dem Ausland zu versorgen. Für den Mittelständler sind Zeitarbeitsfirmen pragmatische erste Ansprechpartner. „Die Aufgabe des Staates ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass private Anbieter hier Angebote machen können. 


Nach den Vorstellungen der Politik können jetzt durch die Gesetzesänderungen vom Sommer pro Jahr 130.000 Fachkräfte leichter ins Land kommen. So sollen von November an Bewerber mit Hochschulabschluss schneller an die „Blaue Karte“ kommen, wenn sie in einem Engpassberuf arbeiten wollen. Allerdings müssen auch sie erst einmal durch den Engpass Auslandsvertretung. Und selbst wenn alles schnell funktioniert, ist beispielsweise der Mangel an medizinischem Personal nicht über Nacht behoben. Denn diese Tätigkeiten gehören zu den „reglementierten Berufen“.

Dort darf man nur mit bestimmten Qualifikationen arbeiten. Das gilt für Ärzte, Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Lehrer. Letztere hat der Gesetzgeber auch als Engpassberufe definiert, wo schnell Abhilfe geschaffen werden muss. Auch bestimmte Meister im Handwerk sind betroffen, vor allem wenn sie einen Betrieb übernehmen oder selbst gründen wollen. Sie alle benötigen eine Anerkennung ihres ausländischen Abschlusses, genauer: eine Berufsausübungserlaubnis. Die entsprechenden Standesorganisationen bestehen weiter darauf.

Inzwischen versucht die Bundesregierung auch das Potenzial der Asylbewerber zu erschließen. So sollen Flüchtlinge in Sammelunterkünften nun nach sechs statt nach neun Monaten eine Arbeit aufnehmen dürfen. Geduldeten wird ebenfalls der Zugang zur Arbeit erleichtert. Ausländerbehörden sollen künftig im Regelfall eine Erlaubnis geben. Bislang stand im Gesetz nur, dass sie dies tun „können“. Außerdem werden die Hürden für die sogenannte Beschäftigungsduldung gesenkt, mit denen ein Wechsel vom Asylsystem in die Arbeitskräfteeinwanderung erlaubt wird. Das entsprechende Gesetz soll noch im November durch den Bundestag.

Ähnliche Artikel