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Personal > Upskilling

So macht man die Beschäftigten wirklich besser und zufriedener

Weiterbildung bindet Beschäftigte stärker ans Unternehmen? Ein Klischee. Wichtig ist die Art der Schulung. Und der Umgang mit den Mitarbeitern.

Schlauer werden: Früher sparten Unternehmen in Krisenzeiten gern an Weiterbildung. Heute ist sie ein wichtiges Angebot, um Mitarbeiter zu halten. © picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke

Die Geschichte von Thomas Rienhöfer, 36, zeigt, was Weiterbildung bewirken kann. Er ist einer, der beim Logistikunternehmen Fiege „in der Fläche arbeitet“, wie es hier heißt. Angefangen hat er mit dem Ausladen von Lkw und dem Einladen von Ware in die Regale. Doch er wollte mehr, die Prozesskette in der Gesamtheit begreifen. Das Problem bestand darin, dass diese Prozesse im Zuge der Digitalisierung hochgradig komplex geworden sind. Ständig gibt es neue Abläufe, neue Methoden, neue Tools – die Automatisierung hat in der Logistik übernommen. Menschen wie Rienhöfer sehen darin eher eine Chance als ein Risiko. Und sein Arbeitgeber unterstützt ihn dabei – mit zeitgerechter Weiterbildung. Rienhöfer heißt anders. In einem Artikel erkennbar den Helden zu spielen, passt nicht zu seinem westfälischen Naturell. Und auch nicht zu dem Familienunternehmen, das im nächsten Jahr 150. Geburtstag feiert – und hier nicht den Eindruck erwecken will, einen Einzelnen nach vorne zu stellen.

Rienhöfer ist einer von vielen in der Firma, weil das Konzept stimmt. „Wer mehr möchte, ohne seinen Arbeitgeber zu wechseln, hat bei Fiege entsprechende Möglichkeiten“, sagt Claudia Scheins, Head of Learning and Development beim Logistikunternehmen. „Weiterbildung ist inzwischen eines der wichtigsten Themen für eine Personalabteilung. Wir haben hier richtig viel investiert.“ In Großkonzernen habe sie gelernt, umfangreiche, professionelle Tools zu nutzen, und kombiniere dies nun mit dem Familiengeist, um das Beste aus beiden Welten darzustellen. Software, die sich auf künstliche Intelligenz stütze, könne zum Beispiel in der Potenzialdiagnostik ein nützlicher Helfer sein. Aber am Ende komme es immer auf den Eindruck des Menschen an.

Weiterbildung ist von Sonntagsreden ganz nach oben in die operative Agenda gerückt – vom „Kann“ zum „Muss“, denn die Automatisierung der Wirtschaft krempelt die Arbeitswelt um. Dem „Future of Jobs Report“ des Weltwirtschaftsforums zufolge könnten bis 2025 in Industriestaaten bis zu 85 Millionen Berufe wegfallen. Auf der anderen Seite dürften knapp 100 Millionen Arbeitsplätze mit neuen Anforderungsprofilen entstehen. Die Schlussfolgerung: Es war für Staat und Unternehmen noch nie so wichtig, in Weiterbildung zu investieren. Die Berater von McKinsey haben errechnet, dass rund 6,5 Millionen Deutsche in ihrem Berufsleben in den nächsten Jahren ganz neue Fähigkeiten lernen oder komplett umschulen müssen.

Schlechter Kaffee im Seminar
 

Grundsätzlich sind alle Branchen betroffen, besonders aber der Automobilsektor, nicht zuletzt wegen der Umstellung auf Elektroantriebe. „An Weiterbildungsaussagen dieser Größenordnung kann ich mich in meiner fast 30-jährigen Erfahrung nicht erinnern“, sagt Holger Schmenger, Geschäftsführer der Haufe Akademie. Das Besondere heute: „In früheren Krisen wurde Weiterbildung sofort stark reduziert. Das ist heute nicht mehr der Fall.“ Unternehmen hätten erkannt, dass es für sie sehr viel schmerzvoller sei, mit fehlenden Fachkräften im Markt zu bestehen, als überschaubar in Weiterbildung zu investieren.

In den vergangenen Monaten haben viele Mittelständler eine Menge dazugelernt, was Weiterbildung genau ist. Sicherlich mehr als drei mal zwei Tage pro Jahr bei schlechtem Kaffee in Seminarräumen zu sitzen. „Wir investieren sehr stark, um die Fähigkeiten zu erlernen, die man für die Zukunft braucht. Für mich ist die Weiterbildung, wie man sie bisher kannte, ein bisschen kurz gesprungen“, sagt Frauke von Polier, Personalverantwortliche bei der Viessmann Group. Die für sie entscheidende Frage: Wie schafft man es, zielgerichtet in den Jobs und Rollen, die vom Wandel hin zu erneuerbaren Energien am meisten betroffen sind, die Fähigkeiten der Zukunft zu erlernen?

„Wir haben uns eben nicht nur angeschaut, was bestimmte Trainings- oder Weiterbildungsmaßnahmen sind, die jetzt wichtig wären, sondern sind von der anderen Seite gekommen.“ Das bedeutet, von 15.000 Beschäftigten mit all ihren Tätigkeiten und Aufgaben ausgehend zu definieren, was ein Job, eine in sich stimmige Rolle ist – und wie viele es davon im Unternehmen gibt. Und die hat Viessmann eben nicht nur nach Aufgaben, sondern sehr stark nach Fähigkeiten miteinander verknüpft. So entstanden 300 Fähigkeitenprofile. „Und die zehn wesentlichen davon, Servicetechniker oder Servicetechnikerin zum Beispiel, haben wir uns als erstes genommen und analysiert. Was müssen diese Menschen genau in Zukunft können?“ Technologie und der Vergleich mit anderen Ländern halfen dabei. So wurde zielgerichtet eine sechsmonatige Lernreise definiert.

Lernreise für Mitarbeiter
 

„Mittlerweile haben über 1000 Mitarbeitende Fähigkeiten-Aufbauprogramme absolviert und spezifisch für ihre Rollen dazugelernt“, sagt von Polier. „Sie haben nun eine höhere Resilienz und eine bessere Beratungsfähigkeit, noch mehr technische Skills bei Installationen und vieles mehr.“ Diese Lernreise gelte es in den Alltag einzubauen. Idealerweise würden entsprechende Formate mal einen halben Tag oder ein paar Stunden dauern. Trotz aller Integration in das laufende Geschäft muss man sich die Zeit fürs Lernen nehmen. Das fühlt sich von Polier zufolge aber gewinnbringend an, denn die Lernformate sind so angelegt, dass man sie gleich am nächsten Tag bereits nutzen kann.

Neben diesem Aspekt betont die Personalchefin, dass die Art des Umgangs mit Beschäftigten entscheidend ist. „Diese individuelle Bewertung über die Fähigkeiten mit dem Versuch, die Lücke zu schließen, das hinterlässt oft ein Geschmäckle.“ Stattdessen legt Viessmann die jeweiligen Rollen und Fähigkeiten fest, die in Zukunft gebraucht werden, um sie erfüllen zu können. Und von dort aus geht es eben auf die Lernreise. „Genau das fanden die Leute hilfreich“, sagt von Polier.

Der dritte Aspekt war, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Abteilungen in den Lernmodulen getroffen haben: Verkaufsberater, Kolleginnen und Kollegen aus der Technologie, aus der Produktentwicklung oder aus dem Nachhaltigkeitsstrategie-Team. Die hätten sich kollegial ausgetauscht. „Dadurch brauchte es keine große Gewöhnung an die Weiterbildung, sondern es war eher umgekehrt, dass dann noch mehr Mitarbeitende gefragt haben: ,Wann ist denn mein Job dran?‘“, sagt die Personalverantwortliche.

Von Polier würde nicht grundsätzlich unterschreiben, dass Weiterbildung stärker an den Arbeitgeber bindet. „Es geht nicht um Weiterbildung an sich, sondern die relevante, effektive, zielgerichtete Weiterbildung.“ Arbeitgeber brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten, weil sonst Kundinnen und Kunden nicht mehr erreicht und damit auch bestimmte Geschäftserfolge nicht erzielt werden. Auf der anderen Seite gibt es die einzelnen Menschen mit dem Bedürfnis nach Weiterentwicklung. Entweder in Fähigkeiten, meistens aber auch im Job, in der Karriere. „Und die Frage ist dabei immer, ob diese Themen übereinstimmen. Und wo eine Lücke sein könnte“, sagt von Polier. „Es gibt verschiedene Kulturelemente, die eigentlich sehr schön sind, aber möglicherweise nicht eins zu eins relevant für jede und jeden von uns.“ Der Arbeitgeber befände sich immer im Spannungsfeld zwischen der Frage, was effektiv anwendbar auf die gesamte Gruppe von Mitarbeitenden sei und den Wünschen der Einzelnen, wenn die auch berücksichtigt werden müssten. Dafür brauche es Mut. „Mit Mut zur richtigen Verteilung ist man bei Maßnahmen deutlich effektiver als mit dem Prinzip Gießkanne“, sagt von Polier. „Meiner Meinung nach ist es auch das, was am Ende die Bindung der Mitarbeitenden erhöht.“

Auch bei Fiege bedeutet Weiterbildung nicht nur, Führungskräfte der mittleren Ebene zu Toptalenten zu machen und in die Geschäftsführung zu hieven. Die einen lassen sich zu Staplerfahrern ausbilden, die anderen werden zu operativen Leiterinnen oder Teamleitern. Wer in seinem Bereich ausgelernt hat, macht sich dank Weiterbildung fit für eine andere Abteilung. Mal, um mehr zu verdienen, mal für die Abwechslung.

Eigene Akademie gegründet
 

Fiege hat dafür eine eigene Akademie gegründet und nähert sich dem Thema Weiterbildung nicht mehr über die Frage „Welches Seminar willst du machen?“ an. Weiterbildung kommt immer aus dem Arbeitsalltag, und die Lernlandschaft liegt im operativen Tun. Die Zeiten, in denen Menschen drei Tage in einem Seminarraum einem Referenten zuhörten und das Thema Fortbildung damit für ein Jahr erledigt war, sind bei Fiege längst vorbei. Der Weg geht über kurze Halbtages- und Eintagesseminare, die in den Arbeitsrhythmus integriert sind und Gelegenheit zum Austausch auch mit Kollegen bieten. Dieser individuelle Angang ist aufwendig und kostet erst einmal Zeit. Gerade bei einem Logistiker, also einer Branche mit traditionell geringen Margen, sei die Diskussion keine leichte gewesen, sagt Scheins, Fieges Head of Learning & Development. „Da überlegt man sich jede Weiterbildungsmaßnahme zweimal. Aber es rechnet sich gerade in Zeiten mit knappem Personal auf lange Sicht.“

Welchen Bedarf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, wird durch umfangreiche Befragungen ermittelt. Die Evaluierung nach den Weiterbildungen sind aber mindestens genauso wichtig. Dabei ist es leicht zu messen, wie zufrieden Mitarbeiter sind. Kniffliger ist es zu überprüfen, ob Menschen dann auch länger im Unternehmen bleiben, die Fluktuationsrate also wegen der Weiterbildungsbemühungen sinkt. Auch Führungskräfte werden befragt, zum Beispiel danach, woran sie merken, dass einer ihrer Leute an dieser oder jener Maßnahme teilgenommen hat.

Ebenfalls wichtig ist die Frage, welche Fähigkeiten ein Unternehmen in Zukunft braucht. Nach einer Studie der Personalberatung Kienbaum und der Jobplattform Stepstone haben sich damit erst 40 Prozent der Betriebe beschäftigt. Aber es gibt übergreifende Zukunftsfähigkeiten, die für alle gelten, egal ob Marketing, Vertrieb, Einkauf. Jeder brauche ein Grundlagenwissen bei IT-Themen und Schlüsseltechnologien wie künstlicher Intelligenz oder Blockchain, sagt Bildungsexpertin Weiß. Sie verweist auf die immer wichtiger werdenden Metakompetenzen wie „die Fähigkeit zu lernen, Fähigkeiten, komplexe Probleme zu lösen und in interdisziplinären Teams zusammenzuarbeiten“.

Also: Je digital vernetzter die Welt ist, desto menschlicher müssen wir sein. „Sozialkompetenzen werden noch viel wichtiger werden als ohnehin schon“, sagt Weiß. Wichtig sei auch, persönliche Werte zu definieren und seine Empathiefähigkeit zu schärfen. Zur Sozialkompetenz gehöre viel Selbstkompetenz, „also seine Grenzen zu kennen und ein Gespür dafür zu entwickeln, was ich brauche, damit es mir gut geht und damit ich ein angenehmer Mitmensch bin“.

Und was ist mit denen, die keine allzu große Lust aufs Lernen haben? Auch bei Fiege gibt es die. „Übrigens auf jeder hierarchischen Ebene“, gibt Scheins ohne Zögern zu. Einige kann man nur über das Geld locken. Bei Fiege argumentieren sie beharrlich mit der Zukunftssicherung. „Wichtig ist doch, dass die Menschen ihren Arbeitsplatz auch dauerhaft verstehen und sich irgendwann idealerweise als Profi in ihrem Arbeitsumfeld sehen“, sagt Scheins. Das gehe mit der Sprache los und ende mit komplexen Technologien. „Deutlich wird das auch beim Onboarding neuer Kollegen. Hier helfen schon ganz simple Dinge, ein Video rund um den neuen Arbeitsplatz zum Beispiel.“ Auch Thomas Rienhöfer kann sich an seinen ersten Tag bei Fiege noch gut erinnern. Ihm war schon damals klar: Wenn du hier am Ball bleibst, kannst du richtig was lernen.

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