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Personal > Zeitgerechte Aufsichtsgremien

Tafel- oder Schwafelrunde? Wie Unternehmen Beiräte optimal besetzen

Beiräte werden wichtiger. Sie passend zu besetzen, ist schwer. Mit welchen Argumenten Mittelständler Topleute für ein Gremium anlocken können.

Mythischer Beirat: Am Tisch von König Artus saßen zahlreiche Ritter, die ihn berieten. Die Kleiderordnung solcher Gremien hat sich inzwischen deutlich geändert.Bildquelle: Privat

2014 beginnt die Beiratskarriere von Nils Seebach. Der ehemalige Investmentbanker, erfolgreicher Gründer, soll in den Beirat eines Familienunternehmens? Warum denn nicht? Wenn alles passt, denkt sich Seebach – und sagt nach einigen Gesprächen zu. „Ich wusste immer, dass ich mal ein Mandat in einem Beirat haben wollte. Also habe ich bei Bewatec zugesagt.“ Es bleibt nicht beim ersten Mandat. Wie so oft, meint Seebach: „Wenn man das erste hat, folgen weitere Angebote recht schnell.“ Heute sitzt er zudem in den Beiräten des Kosmetikunternehmens Cosnova und des Pharmahändlers Phoenix Group. Mehr als drei will er neben seiner operativen Tätigkeit aber auf keinen Fall übernehmen.

Seebach gilt als gefragtes Mitglied für mittelständische Beiräte – ein vergleichsweise junger Typ, der frische Ideen und vor allem Expertise in digitaler Transformation beisteuert. Und damit ist er eine Seltenheit: Einer Studie der Beratung PwC zufolge sind die Gremien nicht so besetzt, wie es angesichts der Aufgaben notwendig wäre. Das Personal ist zu alt und wenig divers, was auch für die Kompetenzen gilt. Diese werden häufig nicht in der Breite abgedeckt, mit der mittelständische Betriebe konfrontiert sind.

„Ich sehe bei der Beiratsarbeit – vor allem bei größeren Mittelständlern – eine zunehmende Professionalisierung, aber auch noch reichlich Platz für Verbesserung“, sagt Uwe Rittmann, Leiter des Mittelstandsgeschäfts von PwC Deutschland. „Es braucht viel stärker die Überlegung: Welche Kompetenz fehlt mir im Gremium noch? Das strukturell aufzubauen dauert und ist fast schon ein Generationsthema. Wer will schon den alten Schulfreund oder die alte Schulfreundin nach zwei Jahrzehnten im Beirat rauswerfen?“ Entsprechend langsam lasse sich das Phänomen „Family and Friends“ lösen. Umso wichtiger sei es, gute Zeitpunkte, wie zum Beispiel einen Generationenwechsel in der Familie, nicht zu verpassen.

Tobias Rappers beobachtet, dass Betriebe solche Momente gerade nutzen wollen und nach Leuten wie Seebach suchen: „Viele Familienunternehmen fragen mich: ,Wir überlegen einen Beirat auf- oder umzubauen. Kennst du wen, der eine Rolle spielen kann?‘“, sagt der Managing Director des Mittelstandsnetzwerks Maschinenraum, der auch Mitglied bei den Deutschen Digitalen Beiräten ist. Der logische Schritt, ganz andere Kompetenzen ins Haus zu holen, kann leicht daran scheitern, die richtigen Leute nicht zu finden.

Respekt ist wichtig

Start-up-Gründer können sehr hilfreich sein. Doch damit es funktioniere, sei vieles auch aufseiten der potenziellen neuen Beiratsmitglieder nötig, sagt Rappers, nicht zuletzt Fingerspitzengefühl. „Gründer müssen den Mittelstand ein stückweit nehmen, wie er ist, inklusive der tradierten Wege.“ Mit dem Hinweis „Warum geht das nicht schneller?“ komme man nicht weiter. „Es ist eben etwas anderes, ein Start-up auf der grünen Wiese aufzubauen, als in ein 100 Jahre altes Traditionsunternehmen zu gehen und dort bei einer Transformation zu beraten.“ Rappers erwartet umgekehrt von den Unternehmen, dass neue Beiratsmitglieder mit Respekt behandelt werden, gerade wenn sie anderer Meinung sind. „Um ehrlich zu sein, habe ich nicht sehr viele gute Best Practices erlebt, wo ehemalige Gründer in Beiräte gegangen sind und dort reüssierten.“ Ein Problem sei, dass sich Unternehmen und Menschen finden, die gut zusammenpassen. 

Wenn ein Mittelständler anruft und fragt, ob Seebach in den Beirat eintreten könne, betrachtet er vier Aspekte: Erstens sollte der Gesellschafter mit im Beirat sein, dass Gremium also entscheidungsfähig sein. Wenn alles Relevante an einen Gesellschafterausschuss geht, würde ihm das keine Freude machen. Zweitens möchte er ein „Generationeninteresse“ spüren, das aber den Zeitgeist mitgeht. „Die Balance zwischen Quartalsdenken und übertrieben traditionsbewusster Unbeweglichkeit zu finden, das reizt mich.“ Drittens ist für ihn das Level der Herausforderung spannend. Im Hinblick auf den Grad der Digitalisierung möchte er nicht bei null anfangen und die Motivation der Inhaber sollte passen. 

Viertens fordert er echte Bereitschaft zum Umdenken: „Ich will nicht das Feigenblatt sein für einen Teil der Familie, der Transformieren will, aber keinesfalls die Mehrheit der Eigentümer oder das aktive Management dahinter vereinen kann.“ Das zeige sich in der Höhe der monetären Investitionen, zum Beispiel in neue Technologien und Geschäftsfelder, aber vor allem „in der Bereitschaft, ein Umdenken in allen Bereichen zu verlangen“, sagt Seebach. Ein Digitalvorstand beispielsweise dürfe nicht allein für alle Digitalisierungsaufgaben mandatiert werden. Stattdessen sollten alle Vorstandsmitglieder digital denken und handeln und dafür auch entsprechende Incentivierungen im Vertrag festgeschrieben bekommen. Wenn dieser Geist herrscht, könnte sich Seebach einen Beiratsmandat vorstellen.

Und immer mehr mittelständische Betriebe finden diesen Geist, schließlich gibt es eine Reihe von Motiven, die Arbeit in einem Beirat zu verändern. Der Lebenszyklus in Familienunternehmen ähnelt sich: Wenn der Senior nicht mehr operativ an vorderster Front handeln möchte, wechselt er oft ins Aufsichtsgremium. So wird der Beirat dann auch zum Instrument, um das generationsübergreifende dynastische Denken zu sichern. Durch den Wechsel ändert sich aber dessen Rolle: Es wird mehr kontrolliert, gerade wenn ein externer Manager das Ruder übernimmt.

Fünf als gute Größe

Traditionell bestückt sich der Beirat bei der Gründung aus einem lokalen Bankenvertreter, einem Anwalt und einem Freund des Seniors. Diese klassische Dreierkonstellation hat jahrzehntelang bei sehr vielen Unternehmen gut funktioniert – deshalb fällt es auch nicht leicht, etwas zu verändern. Doch gerade wenn die jüngere Generation in die Verantwortung kommt, stellt sich die Frage, ob hinreichend Digitalexpertise im Beirat vorhanden ist. 

Im Hinblick auf die optimale Größe für einen Beirat sieht PwC-Berater Rittmann keine allgemeingültige Wahrheit. Vertrieb, Produktion und Finanzen sind drei Fachkompetenzen, die traditionell abgedeckt werden. Das Thema Digitalisierung ist dazugekommen, aber „noch längst nicht überall optimal vertreten“. Nun kommen auch noch ­erhebliche Aufgaben im Bereich Nachhaltigkeit auf die Unternehmen zu und diese Kompetenz sollte auch im Beirat abgebildet werden: „Fünf Personen ist sicherlich keine schlechte Größe für mittelständische Betriebe“, sagt ­Rittmann.

Für Sebastian Pacher können Beiräte auch zu groß sein, handeln dann dysfunktional. „Für die großen Fragestellungen gibt es idealerweise jeweils einen Verantwortlichen – einen Sparringspartner für den operativ Zuständigen“, sagt der Fachmann von der Personal- und Managementberatung Kienbaum. Wer sein Geschäft konsequent auf Nachhaltigkeit trimmen wolle, sollte das auch im Beirat spiegeln – was viele in der Vergangenheit nicht gemacht hätten.

Mit den neuen Aufgaben steigt auch die Notwendigkeit, überhaupt einen Beirat zu haben. Der PwC-Umfrage zufolge nimmt die Zahl der Mittelständler zu, die über einen Beirat verfügen. Die Zahl der Firmen, in denen der Beirat die Geschäftsführung auch tatsächlich kontrolliert und wichtigen Entscheidungen zustimmt, hat sich seit 2002 auf rund 90 Prozent mehr als verdoppelt. Die Kaffeekränzchenrunden werden also seltener, die Gremien bringen ihre Expertise ein oder sind eher Aufsichtsorgan.

Letzteres ist dann der Fall, wenn der Eigentümer die operative Leitung an familienfremde Managerinnen oder Manager abgegeben hat. Dann ist die Besetzung der Geschäftsführung einer der wesentlichen Aufgaben eines Beirats. Dazu kommt aber vor allem das Befassen mit zustimmungspflichtigen Geschäften wie Zukäufen, die häufig zentrale strategische Themen der Firmen betreffen. Heutzutage sei das oft mit den klassischen vier Sitzungen pro Jahr nicht mehr machbar, sagt Kienbaum-Experte Pacher. „Es muss viel kurzfristiger entschieden werden, von daher braucht es entweder mehr Sitzungen oder andere flexiblere Formate.“

Häufig unterschätzt werde das Thema Vergütung der wichtigsten Mitarbeiter als Steuerungsmittel, sagt Pacher. „Das ist ein großer Hebel, der noch nicht ausgenutzt wird. Viele Beiräte trauen sich da nicht heran.“ Es gelte noch zu oft das Motto „über Geld spricht man nicht.“ Dabei seien viele Betriebe „bei den Anreizsystemen noch hinterm Mond“. Gerade wenn Gründerinnen und Gründer in Beiräte einziehen, ändern sich offenbar bei diesem Thema einiges. Dadurch werde ein Spannungsfeld immer spürbarer, sagt Pacher. Wie viel Nähe, also Einfluss aufs Operative, ist gut, ohne dass der Beirat zu viel Einfluss nimmt? „Hier hat sich durch Corona viel verändert. Mit den Video-Calls hat sich der Takt erhöht, einige Beiräte wurden so aus Sicht so mancher Geschäftsführer auch zu aufdringlich“, sagt Pacher. Hier den idealen Mittelweg zu finden, sei eine wichtige Aufgabe. Die Tendenz ist, dass Beiräte sich mehr Informationen aus dem Business holen können, die Transparenz zunimmt.

Dass durch mehr Aufgaben auch die Kosten für den Beirat steigen, ist für die Experten so klar wie lohnenswert. „Das Niveau kann bei einem mittelständischen Betrieb durchaus ähnlich hoch sein wie in börsennotierten Firmen, auch wenn weniger Risiken bestehen“, meint Pacher. Ähnlich sieht es PwC-Experte Rittmann. Der Zeitaufwand für das Engagement in einem Beirat ist aus seiner Sicht definitiv gestiegen. „Vier Mal pro Jahr zu einer Sitzung fahren – das alleine reicht nicht mehr.“ Ein gut vorbereitetes persönliches Treffen pro Quartal inklusive Nachbereitung plus regelmäßiger virtueller Austausch zwischendurch ist ein Aufwand, der entsprechend höher vergütet sein sollte, wie Rittmann findet. „Für 10.000 Euro pro Jahr kriegt man nicht die besten Leute.“

Hier liegt ein wesentliches Problem: Wie bekommt ein mittelständisches Unternehmen die gewünschten Personen für seinen Beirat? Auch wenn der Impuls erklärbar ist, im nahen, bekannten Umfeld Persönlichkeiten für den Beirat zu akquirieren, die einem selbst ähnlich sind und auch sehr gut zu Unternehmenskultur passen: „Man findet gute Ergänzungen selten im eigenen Zirkel“, sagt Rittmann. Junge Gründer betrachten Diskussionen aus ganz anderen Perspektiven und haben Wissen in Bereichen, das oft fehlt. Zudem bringen sie ihr eigenes, fürs Unternehmen oft neues Netzwerk mit. Vorsichtig ist Rittmann bei der Besetzung von Beiratsposten mit Menschen aus Politik und Wissenschaft. Das kann gut gehen, aber „Unternehmensführung sollte von der Pike auf gelernt werden“, meint Rittmann und verweist auf bekannte Beispiele von Politikern, die sich weniger erfolgreich als Unternehmenslenker bewährt haben. Manager und Beiräte „brauchen Entscheidungsfreude trotz Ungewissheit, das ist normalerweise für Wissenschaftler und Politiker ungewohnt“.

Eine gewisse Adelung 

Es gibt für Nils Seebach viele Gründe, warum sich die Beiratsarbeit für junge Managerinnen und Manager lohnt, auch für Gründer. Es geht damit eine gewisse „Adelung“ einher, klar. Aber gerade Gründer lernten ganz andere Dinge als die, die man in der Start-up-Welt brauche: „Ich habe viele Unternehmen gegründet, die schön gewachsen sind. Was ich aber nie wusste, ist, wie ich eine Firma mit weit höherem Umsatz, Tausenden Mitarbeitenden und mit der damit verbundenen Verantwortung führe.“ Für ihn war es „spannend“ zu sehen, wie solche großen Firmen geleitet werden, was ein CEO beeinflussen kann, wie er oder sie dafür sorgt, dass „sich 10.000 Menschen verändern“. Seebach meint: „Als Beiratsmitglied bekommt man den besten Beifahrersitz der Welt.“ Er hat gelernt, was der Unterschied zwischen Gründer und Manager ist und der zwischen Manager und Gesellschafter. Und wie die kontroversen Meinungen zum Ausgleich gebracht werden können.

Stellt sich die Frage, wie lange Beiräte im Amt bleiben sollte. Seebach sagt, sieben bis zehn Jahre, länger sei nicht sinnvoll. Zu einem früheren Ende kann es im Fall des Verkaufs kommen, also wenn sich der Gesellschafter ändert. Oder wenn Seebach merken würde, dass „meine Vorschläge ohne Gegenargument weggewischt werden“. Allerdings gehört da auch ein gewisses Gespür dazu. „Man muss lernen, wie in dem jeweiligen Beirat kommuniziert wird, wo Entscheidungen wirklich gefällt werden.“ Das mag tatsächlich in den Sitzungen passieren, oft aber eben auch nicht. Bei den einen gibt es spezielle „Nachsitzungen“, bei den anderen geschieht viel in den Protokollen. Selbst der Digitalexperte hat auch schon Briefe geschrieben: „Mit denen kann man bei einigen Eigentümern immer noch am meisten erreichen.“
 

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