Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Management > Hermle

Hier zeigt ein Maschinenfabrikant, wie es wirklich geht

Hermle liegt auf der Schwäbischen Alb und eilt von Rekord zu Rekord. Statt um Diversität kümmert sich der Vorstand um Ausbildung. Qualitätssicherung steht vor Digitalisierung. Alle tragen Krawatte und Zeit hat keiner, weil sie im Gespräch mit Kunden stecken. Sieht das funktionierende Deutschland aus wie das alte?

Hermle macht vor, wie es geht. Bildquelle: Hermle

Die Meldung landet in diesen letzten Sommertagen auf meinem Schreibtisch: „Hermle steigert Umsatz im ersten Halbjahr um 24 Prozent auf 261 Millionen Euro.“ Das Betriebsergebnis sei von 30 Millionen auf knapp 50 Millionen Euro emporgeschossen. Die vor einem halben Jahr getroffene Prognos steht wie eine deutsche Eiche. Wie kann das sein, frage ich mich? Deutschland ist doch in der Krise. Die Wirtschaft ächzt: keine Fachkräfte, hohe Energiepreise, Inflation und so. Wer zum Teufel ist Hermle?

Anruf bei der Zentrale der Maschinenfabrik Berthold Hermle in Gosheim. Das liegt in Schwaben, genauer auf der schwäbischen Alb. Wo sonst, schießt mir durch den Kopf, denn wenn es irgendwo in Deutschland noch läuft, dann ja wohl da, wo vom Laser-Zeiss bis zum Propeller-Voith die Welt noch ihre Ordnung hat. Ob jemand aus dem Vorstand da sei, es gehe um ein Gespräch über den eigenen Erfolg? „Nein“, bescheidet mir die Dame im Telefon, die Herren seien alle nicht abkömmlich. Sie seien samt und sonders bei der Emo in Hannover, der Messe für Produktionstechnologie. Als Anrufer lerne ich: Bei Hermle ist das Verkaufen wichtiger als das darüber reden. 

Ein Blick auf die Homepage bestätigt: Das Geld wird bei diesen Schwaben nicht in den schönen Schein investiert. Hermle stellt Maschinen fürs Fräsen her, also fürs Bearbeiten von Metall. Das ist, so denke ich, keine Raketenwissenschaft und hat mit der gerade so gehypten Künstlichen Intelligenz etwa so viel zu tun wie ein Sparschwein mit Boris Becker. „Purpose“ getriebene Marketingberater hätten daran zu kauen und wären wahrscheinlich irgendwann und für viel Geld auf etwas wie „Wir feilen an der Ewigkeit“ gekommen. Nicht so Hermle: „Besser fräsen“ versprechen die Schwaben. Nicht mehr, nicht weniger. Ihre Kantine haben sie „Verweilzeit“ genannt. 

Besser fräsen bei Hermle genau 1383 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sie heißen so und nicht Mitarbeitende oder Mitarbeiter*Innen, denn darauf kommt es letztlich nicht an, glauben sie auf der Alb. Allerdings kommt es darauf an, das es 63 mehr sind als im Jahr davor, denn sonst wäre die Arbeit nicht zu schaffen. All die, die da sind, leisten jetzt schon mehr als sie müssten, denn die Welt um Hermle herum läuft nicht immer so rund wie in Gosheim, und was die daraußen beispielsweise bei Lieferengässen verpatzen, müssen sie bei Hermle drinnen wieder ausgleichen. Dafür stimmt die Bezahlung. Alle haben eine Sonderprämie bekommen, ohne dass ein Staat oder eine Geerkschaft das erst einfordern musste. Es ist einfach eine Anerkennung vom Chef für gute Arbeit gewesen und richtet sich in der Höhe danach, was die Aktionäre als Dividende erhalten. Und die sind glücklich.

Bei einer Kursentwicklung ohne Ausreißer nach unten oder oben ist Hermle an der Börse das, was man einen Dividendentitel nennt. „Die Unternehmensleitung gibt sich gewohnt zurückhaltend in Bezug auf die weiteren Aussichten. Für mich ist die Hermle-Vorzugsaktie nach wie vor der Top-Wert unter den börsennotierten Maschinenbauern“, schreibt ein zufriedener Aktionär in einem Post.

Wie sie das machen bei Hermle mit der Mitarbeitersuche? Ganz einfach: So wie immer. 87 Auszubildende haben sie, die auf der Alp etwas erleben können. Zehn verschiedene Berufe lassen sich erlernen, sieben davon können Studenten im Rahmen eins dualen Studium belegen. Der Branchenverband der Maschinenbauer findet unter den Hermle-Absolventen immer wieder einen oder eine, die einen Nachwuchspreis verdienen zum Beispiel wie jüngst für „Vorbeugende Wartung von Maschinen“ – was auch wieder so ein schwäbisches Ding ist: Hier wird repariert, bevor was kaputtgeht. 

Nebenbei haben die Chefs der Fabrik auch eine Auszeichnung des Landes bekommen, weil sie die „ehrenamtfreundlichsten Arbeitgeber“ sind. Dazu trägt bei, dass Lehrlinge drei Tage im Jahr frei bekommen, um sich bei der Lebenshilfe zu engagieren. Und ach ja: das Hermle-Mountbike-Team für den Schwarzwald-Marathon stellt das Startgeld für die Behandlung krebskranker Kinder zur Verfügung.

Überhaupt die Chefs. Drei an der Zahl, alle verweilen sie seit Jahrzehnten im Betrieb, alle mit dezenter Krawatte, dunklem Jacket und der jüngste von ihnen heißt mit Nachnamen Hermle. Benedikt Hermle ist 2017 mit 29 Jahren als Enkel von Gründer und Schraubenfabrikant Berthold Hermle in den Vorstand gerückt. Der Familie gehören rund 35 Prozent des Unternehmens. Im Aufsichtsrat finden sich auch zwei Familienmitglieder, der eine ist Ex-Chef Dietmar, der andere heißt Lothar mit Vornamen und schreibt als Berufsbezeichnung „Industriemeister“ dazu. In dem sechsköpfigen Gremium gibt es die einzige Spitzen-Frau, eine Anwätin, die den für Familienunternehmer klangvollen Namen Leibinger in ihrem Doppelnamen trägt. Diversität sieht anders aus, aber die Herren von Hermle beweisen nebenbei, dass Diversität nicht zwangsweise etwas mit geschäftlichem Erfolg zu tun hat. Der geht auch ohne. 

Worauf es dann ankommt? Drei Themen lassen sich finden. Erstens Improvistion: Als ihnen vergangenes Jahr vor allem in den USA die Fräsmaschinen aus den Händen gerissen wurden, haben sie kurzentschlossen ihre Vorführmaschinen verkauft, was dann nochmal einen ungeplanten Umsatzschub ergab. Zweites Thema ist Haltung: Das Russland-Geschäft haben die aufrechte Schwaben Tage nach dem Angriff auf die Ukraine abgeschrieben, während die EU noch an ihren Sanktionen feilte. 

Das dritte Thema ist ein Händchen für den Fortschritt: 60 Millionen Euro investieren sie innerhalb von fünf Jahren. Digitalisierung steht bei den Vorhaben hinter Qualitätssicherung. Und die neue Halle, die sie am Nachbarstandort Zimmern bauen, nutzt die Sonne über dem Dach zur Stromerzeugung, was die Hälfte des Energieverbrauchs decken soll. Geheizt und gekühlt wird mit Wämepumpen. Das haben sie hier schon immer so gemacht, abseits staatlicher „Regulierungsorgien“, wie Vorstand Günther Beck in seiner jüngten Rede auf der Hauptversammlung bemerkte. Es blieb der einzige Seitenhieb des Unternehmers in Richtung Politik. Es war eine solide Rede mit vielen Zahlen und noch mehr Technik. Kostprobe: „Greifer und Spannmittel passen sich wechselnden Rohlingen seit neuestem weitgehend selbständig an, sodass manuelle Eingriffe zur Umstellung von runden auf eckige Bauteilgeometrien, nahezu eliminiert werden.“

Wie gesagt – Beck und seine Crew sind derzeit im Dienst am Kunden unterwegs. Ich habe sie nicht sprechen können. Ich weiß nicht, ob sie die „Buddenbrooks“ kennen. Thomas Manns epische Erzählung über den gleichnamigen Clan von Getreidehändlern und ihren Untergang ist heute Pflichtlektüre in Wirtschaftskreisen, weil sie als passende Metapher für den wahrgenommenen wirtschaftlichen Niedergang des Landes steht. In Gosheim bei Hermle ist ihnen das Buch möglicherweise zu dick. In der Zeit, die es zum Lesen braucht, ließe sich doch mindestens eine Fräsmaschine bauen und an den Mann bringen.

Ähnliche Artikel