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Zukunftsmärkte > Energiekrise

Backen am Limit

Energie- und Rohstoffpreise steigen, die Personalkosten ebenfalls. Der mittelständische Bäcker Puppe hat vorgesorgt. Doch das reicht nicht.

Energie- und Rohstoffpreise steigen, die Personalkosten ebenfallsBildquelle: judithwagner.com

Die Rechnung hat es in sich. „Aktuell liegen unsere Energiekosten bei etwa 290.000 Euro im Jahr. Allein beim Strom kalkulieren wir für 2023 mit 785.000 Euro“, sagt Bäckermeister Thomas Puppe trocken wie altes Brot. „Die gestiegenen Kosten für Gas für unsere im Schnitt 360.000 Kilowattstunden jährlich kommen nächstes Jahr noch dazu.“ Er hat zur Sicherheit noch schnell in seine Unterlagen geschaut. Vielleicht, weil auch er es nicht glauben kann. Von den steigenden Rohstoffpreisen für Weizen, Milch oder Eier hat der Neusser da noch gar nicht geredet.

Eigentlich fällt dem quirligen Handwerksmeister auch in der Not immer was ein. Als 2021 Corona den Karnevalszug ausbremste, bot er seine „Jeck-to-go-Box“ mit Berlinern, Konfetti und Liedtext an. Jedes Jahr lädt er ganze Kindergärten in seine Backstuben ein – mancher Knirps kommt als Azubi wieder. Doch jetzt steht Puppe vor einer harten Prüfung. Als Bäcker, als Unternehmer und als sozialer Mensch. Wie kann er seinen Betrieb – 15 Filialen, 180 Mitarbeiter – 2023 bei gleicher Qualität aufrechterhalten, wenn seine Kosten durch die Decke gehen, aber seine Kunden sparen wollen?

Wie Puppe geht es vielen Handwerksbetrieben in Deutschland. Und vom 1. Oktober an kommt noch ein weiterer Kostenblock hinzu: die Gasumlage zum Schutz der Gasanbieter. 2,419 Cent pro Kilowattstunde beträgt sie – für Privatleute wie für Unternehmen. Die Gasumlage werde bei einem durchschnittlichen Handwerksbetrieb zu jährlichen Mehrkosten von 2500 bis 3000 Euro führen, bei energieintensiven Gewerken wie Bäckereien aber zu deutlich mehr, warnt der Chef der Handwerkskammer Halle. Puppe muss handeln. „Gerade verkleinern wir unser Sortiment etwas und reduzieren so auch die Retouren. Aber das wird auch nicht reichen.“

Bäckerei Puppe – der Name hat am Niederrhein einen guten Klang. Je nach Filialgröße kaufen dort täglich zwischen 300 und 800 Kunden alles von Brötchen bis Hochzeitstorte. Auch mehr als 100 gewerbliche Kunden wie Schulen, Krankenhäuser oder Kindergärten ordern hier ihr täglich Brot. Damit das Geschäft läuft, ist Energie nötig. Die Kühl- und Gärschränke, in denen der Teig ruht, und die Backöfen im Dauereinsatz verschlingen enorm viel. Beim Blick auf sein Budget für die kommenden Jahre wird deshalb selbst der optimistische Rheinländer Puppe ernst. „Die Kunden halten sich schon jetzt zurück. Dabei können und wollen wir unsere Preissteigerungen nicht komplett auf sie umlegen. Schließlich wollen wir doch eine schöne Braut für unsere Kunden bleiben.“

Gefahr durch Discounter

Denn da ist auch noch die Konkurrenz. Bäcker, Metzger, Obstläden müssen nicht nur täglich neu ihre Kundschaft vom Kauf überzeugen. Nebenan lockt auch noch die billigere Ware im Supermarkt und beim Discounter. Dort locken sogenannte Backstationen, umweht vom Duft nach frisch gebackenem Brot, Kunden zum Kauf vom Fließband. Vermeintlich gesunde Vollkornbrötchen werden dafür gern mit Zuckerrübensirup oder Malzextrakt dunkler eingefärbt und mit ein paar Sonnenblumenkernen dekoriert. Hübsch anzusehen, jedoch kein Vergleich zu qualitativ hochwertigem Bäckerhandwerk. Aber eben billiger – und das ist in Zeiten steigender Inflation selbst für die brotverliebten Deutschen ein gutes Argument.

Seit 1991 hat Thomas Puppe gemeinsam mit seiner Schwester, der Betriebswirtin Birgit Neisser, die elterliche Backstube in Neuss beständig ausgebaut. Der 1968 gegründete Familienbetrieb wurde zu einem soliden mittelständischen Unternehmen. Die Größe macht ihn flexibler. Für die kleineren der noch knapp 10.000 Meisterbetriebe in Deutschland können die steigenden Energiepreise das Ende bedeuten – mit Folgen für die Volkswirtschaft. Bäcker setzten zuletzt mit 240.000 Beschäftigten rund 14,89 Milliarden Euro um. Und sie sind begehrte Auftraggeber: Jedes Jahr investieren sie rund 500 Millionen Euro in Maschinen, Fuhrpark und Einrichtung.

Seit 2014 ist die Zahl der Betriebe von 12.600 auf 9900 gesunken, Tendenz fallend. Die Branche konsolidiert sich. Einzelunternehmer geben auf und verkaufen ihre Läden oft an örtliche Filialbetriebe. „Grow or go“ – das Mantra vieler Unternehmensberater gilt auch für Bäcker. Große Ketten wie Kamps oder Backwerk profitieren davon. Sie kaufen große Mengen billiger ein, ihre Produktion ist durchautomatisiert, ihre Personalkosten sind deshalb niedriger. Solche Konkurrenten in direkter Nachbarschaft, wie zuhauf in deutschen Innenstädten, sind ein hartes Brot für jeden backenden Einzelkämpfer.

Daniel Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbands des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, sieht noch härter Zeiten auf die Brache zukommen: „Über uns zieht leider der perfekte Sturm auf. Alle drei wichtigen Kostenblöcke verteuern sich gleichzeitig: Rohstoffe, Energie und Personal. Der Mindestlohn von zwölf Euro die Stunde und das insgesamt steigende Lohngefüge sind für viele Betriebe auf dem Land eine weitere enorme Belastung.“ Auf Sonnenblumenkerne zu verzichten und Margarine statt Butter zu verwenden, das löse kein Problem.

Energiezuschuss gefordert

Umso wichtiger ist aus Schneiders Sicht, dass auch die deutschen Bäcker von Hilfen profitieren, die Unternehmen bekommen, wenn sie durch steigende Energiepreise gebeutelt werden. „Wir liefern nur national, da kommt es zu keiner internationalen Wettbewerbsverzerrung, die das EU-Beihilferecht tangieren würde“, meint Schneider. Sein Plan: Backende Handwerksbetriebe sollten einen ähnlichen Energiezuschuss erhalten wie die Autofahrer beim Tankrabatt. „Die Bäcker kaufen auf kurzen Wegen regional und nachhaltig ein. Sie produzieren so energieeffizient wie möglich und sichern die dezentrale Versorgung der Bevölkerung. Das darf nicht zerschlagen werden“, appelliert der Verbandschef an die Politik. Und von den Bürgern wünscht er sich mehr Wertschätzung für gute Lebensmittel und die Bereitschaft, sie zu bezahlen.

Auch Bäckermeister Puppe ist seit jeher ein scharfer Rechner. Alle Backofenparameter effizient einzustellen und zu steuern – längst geregelt. Ebenso weniger Beschwadung mit Wasserdampf. Puppe investiert seit Langem in Energiesparmaßnahmen. Aus Freude am Sparen, aus Freude am Umweltschutz. „Unsere komplette Produktion ist längst auf LED-Leuchten umgestellt. Statt mit Strom heizen wir unsere Backöfen inzwischen mit Gas“, berichtet er. Das Fachmagazin „Bäckerwelt“ berichtete über sein vorbildlich energieeffizientes Etagenbacken.

Stromfressende Kühltruhen

Puppe engagierte auch eine Energieagentur, um verborgenes Sparpotenzial zu heben. Die Nachfrage nach Experten und Expertinnen für kostensparende und umweltschonende Produktion boomt. Weiterbildungsangebote zum Energieberater reichen vom Ratzfatz-Wochenend-Seminar bis zum anspruchsvollen Studium, denn die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Umso wichtiger ist eine Zertifizierung der Berater, beispielsweise durch die staatliche Förderbank KfW. Wer sich die Hilfe der Profis holt, kann Zuschüsse beantragen. Dabei kommt es auf das Konzept an. Wer den Energieverbrauch von Anlagen und Gebäuden erfasst, auswertet, analysiert und daraus optimierte Energiekonzepte entwickelt, hat gute Chancen auf Förderung.

Seit Jahren sucht auch Puppe mit seinen Beratern in Produktion und Büros nach energetischen Sünden und neuen technischen Lösungen. Da fliegt schon mal die Kühltruhe raus – sie fraß zu viel Strom. „Das Wichtigste ist immer: Wie senken wir den Energieverbrauch? Wir haben auch eine Potenzial- und Kostenanalyse zum Thema Wärmepumpe gemacht. Und ab Oktober installieren wir bei uns eine eigene Solaranlage.“

Mangelnden Einsatz kann man dem Bäcker sicher nicht vorwerfen. Aber was nützt ihm das jetzt – im perfekten Sturm? „Mithilfe unserer Energieagentur haben wir bei den Ausschreibungen an den Energiebörsen gute Verträge für Gas und Strom abschließen können“, sagt Puppe. Goldrichtig. Aber trotzdem sagt er dann erst mal lange nichts. „Aber die große Frage ist, ob sich unsere Energieversorger an die Verträge gebunden fühlen oder sie uns die Verträge wegen der explodierenden Preise aufkündigen.“ Er rechnet vor: „Bisher zahlen wir 4,5 Cent pro Kilowattstunde, aktuell liegen die Beschaffungskosten bei 45 Cent – dem Zehnfachen.“ Dann wäre jede bisherige betriebswirtschaftliche Rechnung Makulatur. Fast eine halbe Million Euro mehr für Strom im kommenden Jahr, da bliebe wohl auch in seinen Backstuben der ein oder andere Ofen kalt. Auch der gestiegene Mindestlohn und die anstehenden Tarifgespräche beunruhigen Puppe. „Meine Mitarbeiter sollen gut verdienen. Aber die Personalkosten machen schon jetzt die Hälfte aller Kosten aus.“

Thomas Puppe ist Chef der Bäckerei in der zweiten Generation. Seine Tochter Caroline – topausgebildet in der Bäckerei und studierte Betriebswirtin – steigt gerade ins Familienunternehmen ein. Es wird also weitergehen. Denn: Den Mutigen gehört die Welt. 

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