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Zukunftsmärkte > Übersicht aktueller Wirtschaftsdaten

Deutschland, der kranke Mann Europas?

Nach der Abstrafung der Ampel-Koalition bei den Wahlen in Bayern und Hessen sprechen viele über das Thema Migration. Dabei war die wirtschaftliche Situation für die meisten Wähler noch bedeutender. Aktuelle Daten treiben Unternehmern Sorgenfalten auf die Stirn.

Produktion in Deutschland ist teuer, auch wenn hier einige der modernsten Industriehallen der Welt stehen.

Es ist in weiten Teilen Deutschlands ein goldener Oktober: Sonne, milde Temperaturen, die Blätter färben sich, die Aussicht auf Wald und Wiese ist herrlich. Was für ein Kontrast zu den wirtschaftlichen Aussichten, wie eine Reihe von Daten in diesen Tagen zeigen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in seiner neuen Konjunkturprognose festgestellt, dass Deutschland 2023 als einzige unter den fortgeschrittenen Volkswirtschaften aller Voraussicht nach schrumpfen wird.  Die Wirtschaftsleistung soll laut IWF um 0,5 Prozent zurückgehen, im Sommer lag die Prognose noch bei minus 0,3 Prozent.

Wird Deutschland also wieder zum „kranken Mann Europas“? Der Wert minus 0,5 Prozent korrespondiert zumindest mit anderen aktuellen Prognosen. Die Bundesregierung erwartet ein Minus von 0,4 Prozent. Spannend ist eher die Blick ins kommende Jahr: Sowohl IWF als auch Bundesregierung prognostizieren ein Wachstum.  Der Währungsfonds ist allerdings deutlich pessimistischer mit einem Plus von nur 0,9 Prozent. Die Bundesregierung geht von 1,3 Prozent aus. Der wesentliche Grund: Berlin rechnet mit einer Inflationsrate von nur 2,6 Prozent, der IWF von 3,5 Prozent – was den Konsum deutlich stärker belasten würde.

Mehr Pleiten

Auch ein zweiter Indikator macht Sorgen: Die Zahl der Unter­neh­mens­in­sol­ven­zen steigt sprunghaft an. Zwar liegt sie noch unter dem Niveau vor der Corona-Krise. Aber die Analysten der DZ Bank erwarten 17.500 Pleiten in 2023, wenn die Zahl der Insolvenzfälle weiter so ansteigt wie zuletzt. Zum Vergleich: Im Finanz­kri­sen­jahr 2009 verzeichnete Deutschland 32.700 Unter­neh­mens­in­sol­ven­zen. 2019, einem „normalen“ Jahr, waren es 19.500. 

In den Corona-Jahren von 2020 bis 2022 verteilte die Regie­rung Hilfs­gel­der und entließ in Finanz­not gerate­ne Unter­neh­men vorüber­ge­hend von der Pflicht, einen Insol­venz­an­trag zu stellen. Das drückte die Zahl der Pleiten künstlich nach unten, doch das ist jetzt vorbei. Es gibt zahlreiche sogenannte Zombie­fir­men, deren Existenz auf Krediten beruht, die es lange zu extrem niedrigen Zinssätzen gab. Im ersten Halbjahrs 2023 gab es besonders viele Pleiten im Großhan­del, gefolgt vom verar­bei­ten­den Gewer­be und der Gastro­no­mie. Auch das Bauge­wer­be und der Einzel­han­del stehen stark unter Druck.

Eine weitere Zahl aus dieser Woche: Die Indus­trie­pro­duk­ti­on ging hierzulande im August den vierten Monat in Folge zurück. Im Vergleich zum Vormo­nat stell­te das produ­zie­ren­de Gewer­be preis­be­rei­nigt 0,2 Prozent weniger her, wie das Statis­ti­sche Bundes­amt in Wiesba­den errechnet hat. „Die Indus­trie­pro­duk­ti­on tritt weiter auf niedri­gem Niveau auf der Stelle“, sagte Jupp Zenzen, Konjunk­tur­fach­mann der Deutschen Indus­trie- und Handels­kam­mer. Kosten­sei­tig belas­te­ten hohe Energie­prei­se, Zinsen und Arbeits­kos­ten die Unter­neh­men. Die Neuauf­trä­ge lägen im verar­bei­ten­den Gewer­be ebenfalls nur auf einem niedri­gen Niveau. „Das sind insge­samt keine guten Aussich­ten für die deutsche Industrie.“

Creditreform-Index sinkt

Auch der jüngst veröffentlichte Geschäfts­kli­ma­in­dex der Wirtschafts­aus­kunf­tei Credit­re­form zeigt, wie sehr die aktuelle Gemengelage dem Mittelstand zusetzt. Die Lage der Betriebe sei demnach so schlecht wie seit dem Höhepunkt der Corona-Krise nicht mehr. Erstmals seit 2020 drehte das Stimmungs­ba­ro­me­ter für den Mittel­stand ins Minus. Auftrags­ein­gän­ge, Umsät­ze, Erträ­ge und Beschäf­ti­gungs­zah­len hätten sich gegen­über 2022 verschlech­tert: „Massi­ve Kosten­stei­ge­run­gen, hohe Zinsen und eine schwa­che Nachfra­ge belas­ten auch die kleinen und mittle­ren Unter­neh­men immer mehr“, erklär­te Credit­re­form-Cheföko­nom Patrik-Ludwig Hantzsch.

Immerhin: Die nahe Zukunft beurteilen die 1200 befragten Unternehmen etwas positiver als bei der letzten Befragung. Rund 20 Prozent rechnen wieder mit steigen­den Erträ­gen. „Die Wirtschaft erwar­tet ein Aufat­men, aber nicht jetzt, nicht in den nächs­ten Monaten, sondern frühes­tens zum Jahres­wech­sel“, sagte Hantzsch. Hauptgrund ist das Nachlassen der Teuerung.

Dennoch bleiben viele Ungewissheiten, wie die deutlich gesun­ke­ne Inves­ti­ti­ons­be­reit­schaft belegt: Der Anteil der Unter­neh­men, die ein Inves­ti­ti­ons­vor­ha­ben planen, sank auf 38,4 Prozent gesun­ken und damit den niedrigs­ten Wert seit rund 20 Jahren. Wesentlicher Grund sind die gestiegenen Kosten für die Finanzierung solcher Vorhaben. „Der Mittel­stand wird in der Breite abgehängt bei Wettbe­werbs­fä­hig­keit und Innova­ti­ons­fä­hig­keit, weil keine Inves­ti­tio­nen getätigt werden. Das ist für die nächs­ten Jahre entschei­dend“, sagte Hantzsch. Im Hinblick auf die finanzielle Resilienz geht die Schere bei den mittelständischen Unternehmen laut Creditreform auseinander: Einer­seits nahm die Zahl der eigen­ka­pi­tal­schwa­chen Unter­neh­men zu. Auf der anderen Seite erreich­te der Anteil der eigen­ka­pi­tal­star­ken Unter­neh­men einen Höchst­wert.

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