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Zukunftsmärkte > Standort Deutschland

Was vom Arbeitgebertag hängen bleibt

Auf dem Arbeitgebertag durfte sich die versammelte politische Klasse einiges anhören. Immerhin: Der Kanzler kam und gelobte Besserung. Doch reicht das und was braucht der Standort? Eine kritische Analyse der wichtigen Veranstaltung.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht auf dem Arbeitgebertag zu den Unternehmerinnen und Unternehmern.

Immerhin: Der Bundeskanzler war trotz Nahost-Krise und diverser Termine inklusive Reise nach Israel da und hörte zu. Anders als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) glänzte Olaf Scholz mit Anwesenheit auf dem Arbeitgebertag und sprach zumindest zwei der Punkte an, die den Unternehmen unter den Nägeln brennen: Bürokratie und die hohen Energiekosten. Und er versprach konkrete Besserung – Kritiker mögen es auch Beruhigungspillen nennen.

"Wir haben es übertrieben, das ist meine feste Überzeugung“, sagte er im Hinblick auf die Bürokratie. Akteure aller Parteien und politischer Ebenen hätten „Jahrzehnte damit zugebracht, liebevoll und mit viel Spaß am Detail dafür zu sorgen, dass es sehr kompliziert geworden ist“, gab Scholz zu. Das Ergebnis sei leider so, „dass manche gesetzlichen Regelungen, manche Vorschriften gar nicht mehr exekutierbar sind“. Nun würden in der nahenden Runde mit den Bundesländern Vorschriften nennenswert vereinfacht und dank des Ausbaues erneuerbarer Energien würde bis 2030 genug bezahlbarer grüner Strom zur Verfügung stehen.

Man mag ihm glauben, dass sein Plan genauso ist. Doch kann er die notwendigen Kräfte, selbst die in der eigenen Partei, wirklich darauf einschwören? Die Opposition glaubt daran nicht. Arbeitgebertage sind auch immer Flächen des politischen Wettbewerbs, so auch in dieser Woche. Jede einzelne Sitzungswoche des Bundestags sei "eine ernste Bedrohung für dieses Land“, sagte halbspöttisch Friedrich Merz. "Sind wir in diesem Land noch veränderungsbereit?" Damit traf der CDU-Vorsitzende einen Punkt bei den Unternehmerinnen und Unternehmern. Genau die Bereitschaft vermissen viele bei der Ampel, was immer wieder durchklang.

Die Attraktivität des Standorts habe massiv gelitten, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, der direkt vor der Veranstaltung mit dem Zitat „Teile der Ampel hören uns nicht mehr zu“ für Aufsehen gesorgt hatte. Jedes vierte Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten spiele mit dem Gedanken abzuwandern. "Die Stimmung in der Breite der Wirtschaft ist gekippt." Keine allzu steile These und erstrecht kein Verbandsjammern, angesichts der harten Zahlen: Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht Deutschland als Wachstumsschlusslicht unter den entwickelten Volkswirtschaften und kürzlich hat die Bundesregierung ihre Wachstumserwartung nach unten korrigiert.

Beobachter mögen das Klagen über die Bürokratie für bekannt und ewig gleich halten, aber der Vorschriftenwust hat erstens eine neue Dimension erreicht und trifft zweitens die Betriebe in einer sensiblen Phase, wo sie dafür absolut keine Kapazitäten mehr haben. Der DIHK bringt es mit einer Berechnung auf den Punkt: Für jede abgeschaffte Regulierung kamen im vergangenen Jahr 3,5 neue EU-Gesetze hinzu. Im ersten Halbjahr 2023 lag das Verhältnis sogar bei eins zu fünf. Zu behaupten, dass bürokratische Hürden nur halbherzig abgebaut werden, ist da eine allzu höflich formulierte Kritik. Unternehmer beklagen eine nicht auf das Gelingen ausgerichtete Haltung in den Genehmigungsbehörden und haarsträubende Dokumentationspflichten.

Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn (IfM) hat passend zum Arbeitgebertag gezeigt, welche Stellschrauben für die Entlastung der mittelständischen Unternehmen besonders relevant sind. Aktuell werden laut Fallstudien des IfM Bonn allein durch die Erfüllung der bürokratischen Pflichten auf Bundesebene beispielsweise in einem kleinen Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus rund drei Prozent des Umsatzes jährlich gebunden. Dies sind bei einem Umsatz von 23,5 Millionen umgerechnet zehn in Vollzeit arbeitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Bei einem größeren Unternehmen der gleichen Branche mit einem Umsatz von 240 Millionen Euro liegen die Kosten für diesen bürokratischen Aufwand bei einem Prozent. „Auch wenn Bürokratie per se wichtige wirtschaftliche Funktionen wie die Sicherstellung von Planungs- und Rechtssicherheit oder der Gleichbehandlung erfüllt, bindet der aktuelle Umfang in den Unternehmen wertvolle Ressourcen", sagt die IfM-Präsidentin Friederike Welter.

Zur Bürokratiebelastung tragen aber nicht nur die Regulierungen auf Bundesebene bei, sondern beispielsweise auch langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren auf Länder- und kommunaler Ebene sowie die Vorgaben von Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, Normungsinstituten oder innerhalb von Wertschöpfungsketten. Es liegt also nicht nur am Kanzler. 


Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Unternehmen befragt: Rund 90 Prozent sind der Meinung, dass die Bundesregierung keine durchdachte Strategie zur Bewältigung der aktuellen Krisen hat. Allzu viele Herausforderungen muss der Standort Deutschland bewältigen mal abgesehen vom Bürokratieabbau.

Das Problem ist: Die Regierung diskutiert die falschen Themen zur falschen Zeit. Die Grünen schlugen Montag einen Mindestlohn von 14 Euro vor. Andere diskutieren über die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich. Steuern fließen reichlich, doch die öffentliche Verwaltung kann ihr Leistungsversprechen immer weniger erfüllen. Das neue Zuwanderungsgesetz mag gelungen sein, wie Fachleute zugeben. Aber die Politik packt den Apparat dahinter nicht an, so dass sich die Lage für Unternehmen kaum bessert. Mit vergleichsweise kleinen Summen, gesteckt zum Beispiel in die hinreichende Ausstattung der Auslandsbehörden in den Kommunen, ließe sich sehr viel erreichen.

Doch die ein stückweit zu bemitleidende Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner (Grüne), die Wirtschaftsminister Robert Habeck vertreten musste, hatte offenbar den Auftrag, die Arbeit der Regierung schön zu reden. Ja, die Lage sei ernst – aber: "Jeden einzelnen dieser Faktoren gehen wir an", verspricht Brantner. Das Stichwort lautet "Deutschlandpakt": Der Kanzler bot an, gemeinsam mit Ländern und Opposition die großen Themen anzugehen. Anfang November ist das nächste Treffen.

Für die Unternehmen steht fest, was der Deutschlandpakt leisten muss: Wachstumspolitik mit laut Arbeitgeberpräsident Dulger "mutigen" Verwaltungen und einfache Genehmigungsverfahren. Sozialabgaben, die nicht weiter "explodieren", weniger Bürokatie und bezahlbare Energie inklusive hinreichend grünen Strom in absehbarer Zeit. Scholz sagte zum Thema Strompreis: „Wir haben einen sehr infrastrukturellen Blick auf die Frage geworfen.“ Das klingt noch Scholz.

Zwei wichtige Aspekte rund um das Thema Arbeitsmarkt wurden diskutiert, gingen in der breiten Berichterstattung aber ein wenig unter: Maßnahmen gegen den Personalmangel und die Reform des Arbeitszeitgesetzes, das für viele Unternehmen mit den Ruhezeiten von elf Stunden gestrig wirkt. Gerade Wissensarbeiter im Homeoffice, die „nebenbei“ das Familienleben im Laufen lassen wollen, vermissen hier Flexibilität. Im Gegenteil soll die von Hubertus Heil (SPD) geplante Reform des Gesetzes eine elektronische Arbeitszeiterfassung bringen.

Überhaupt wirkte der Bundesarbeitsminister auf dem Arbeitgebertag wie aus der Zeit gefallen. Auf der einen Seite bot er an, über gewisse Lockerungen im Arbeitsrecht zu reden.  Das aber nur unter der Bedingung, dass es mehr tarifgebundene Betriebe gebe. Als Instrument dazu bereiten Heil und Habeck gerade ein Tariftreuegesetz vor. Vielen Unternehmerinnen und Unternehmer wurde bei diesen Worte ganz kalt: Für sie ist das Tariftreuegesetz das nächste „Bürokratiemonster“.

Der Arbeitgebertag zeigte, wie schwierig das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik ist. Dass sich Habeck Sonntag für den Gewerkschaftstag der IG Metall Zeit nimmt, aber nicht für den Arbeitgebertag, ist ein Zeichen. Es müssen sich ja nicht alle mögen, aber kein Diskurs ist auch keine Lösung. Friedrich Merz hat die wesentliche Frage so formuliert: „Wollen wir eigentlich noch ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleiben?“ Darauf müssen jetzt alle Beteiligte schnell antworten finde.

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