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Personal > Altersdiversität

Der Reiz der späten Jahre

Die Jungen wollen nicht, die Alten dürfen nicht. Was Betriebe bei der Personalauswahl besser machen sollten.

Ganz neue Perspektiven: Im Film „Man lernt nie aus“ fängt der 70-jährige Ben Whittaker (Robert de Niro) noch einmal als Praktikant an.Bildquelle © Screenshot-www.cinecitta.de

Warum sollte ich mit 52 noch in Digitalisierungsworkshops? Führungskräfte hören diese oder ähnliche Fragen vermeintlich oft von älteren Mitarbeitern, wenn sie Neues im Unternehmen einführen wollen. Jüngere seien aufgeschlossener, flexibler, hieß es jahrzehntelang. Wurde in Betrieben umstrukturiert oder gespart, traf es meist die älteren Beschäftigten. Zudem waren junge Menschen auch oft günstiger als die älteren Mitarbeiter. Das hat sich inzwischen angesichts des allgemeinen Personalmangels geändert. Firmen entdecken die Chancen des Alters.

Daten gibt es nicht, aber viele Menschen, die sich im Alltag damit beschäftigen, Führungspersonal oder Fachkräfte zu vermitteln, sehen einen Trend. Marco Henry Neumueller von Odgers Berndtson ist einer der wesentlichen Rekrutierer für Führungskräfte im deutschen Mittelstand. Zumindest für die Top-Liga sieht er eine leichte Tendenz, dass das Alter keine so entscheidende Rolle mehr spielt: „Tatsächlich nehme ich eine leicht zunehmende Offenheit wahr – auch in den Familienunternehmen.“ 

Der Wunschkandidat, vielmehr die Wunschkandidatin, ist immer noch Mitte 40 und weiblich. Aber grundsätzlich seien die, die eine Führungsposition besetzten, in der Tendenz bei Kandidaten in den 50ern nicht so ablehnend wie früher, sagt Neumueller. „Vor zehn bis 20 Jahren erfuhren Arbeitnehmer, die die 50 überschritten haben, eine ablehnende Haltung auf dem Arbeitsmarkt. Das hat sich verändert.“ Gründe seien das Anheben des Renteneintrittsalters und die Tatsache, dass heutige 60-Jährige körperlich und geistig teilweise fitter sind als die 50-Jährigen vor 20 ­Jahren.

Alter ist kein Qualitätsmerkmal

Das Alter ist oft auch nur eine Zahl, die wenig über die wahren Qualitäten einer Person aussagt. Der US-Film „Man lernt nie aus“ spielte 2015 damit. Der 70-jährige ehemalige Manager Ben Whittaker startet als Praktikant in einem Onlinehandelsunternehmen, dessen Chefin sich abrackert und wenig von ihrer Umwelt mitbekommt. Whittaker erweist sich als Mensch mit großen sozialen Qualitäten, ohne den vieles nicht läuft. Und dass, obwohl er mit neuer Technik eher nicht so aufgewachsen ist. Er arbeitete für eine Marketingfirma, die so etwas wie die Gelben Seiten herausgab. Das E-Commerce-Unternehmen jedenfalls profitiert. Gut, idealisierte Hollywood-Ware, aber manchmal haben auch solche Filme einen wahren Kern.

Im wahren Leben ist manch Unternehmen eher zurückhaltend, wenn Kandidatinnen und Kandidaten für eine Stelle etwas älter sind. „Ab 60 werden die Klienten etwas ablehnender“, sagt Neumueller. Diese Altersgruppe hat aber eine gute Chance bei zeitlich begrenzten Aufgaben, sofern der Kandidat oder die Kandidatin Erfahrung mit operativer Führung von Projekten hat. Hier gibt es durchaus viele Transformationsthemen, die drei bis fünf Jahre benötigen und wo die Führungskraft danach nicht mehr zwingend gebraucht wird. Jemand, der dann in Ruhestand gehe, sei da allemal angenehmer, als ein Endfünfziger, der noch lange Geld koste, weil er weiterbeschäftigt werden müsse, sagen viele hinter vorgehaltener Hand. 

Gleichzeitig schwächelt der Nachwuchs. „Die Leistungsbereitschaft in der jüngeren Generation war damals aber deutlich ausgeprägter“, weiß der Headhunter aus Erfahrung: „Meine Wahrnehmung ist, dass die Generation der unter 35-Jährigen weniger Ambitionen hat, Führungsverantwortung zu übernehmen und eine solche Aufgabe eher als anstrengend und lästig empfunden wird.“ 

Managementberaterin Susanne Nickel nimmt es genauso wahr: „Konkret erlebe ich in meinem Alltag, dass die Jungen durchaus fachlich führen wollen, aber weniger disziplinarisch.“ Umso mehr sei das ein Grund, Menschen auch mit Mitte 40 zum ersten Mal zur Führungskraft zu machen. Aber das passiere zu selten: „In meinen Führungskräftetrainings sind die Teilnehmer zu mehr als 90 Prozent unter 40 Jahre alt und das finde ich total schade.“ Sie stört sich daran, dass Personalverantwortliche viel zu sehr auf das Alter schauen.

Nickel hat auch eine Erklärung für das Verhalten der Jüngeren: Ihre Eltern, die zumeist den Babyboomern oder der Generation X angehörten, „haben sich oft zu Tode gearbeitet“. Bei Mama oder Papa ist Arbeit etwas, da „muss“ man hingehen. Arbeit ist eher Pflichterfüllung als Selbstverwirklichung. „Diesen Mangel an Spaß und Sinn haben viele junge Leute verinnerlicht und sagen jetzt: ,Dieses Konzept lehne ich ab. Rette sich, wer kann.‘“, sagt Nickel. „Dadurch entstehen Forderungen und ein hohes Anspruchsdenken, die meinen Kunden schwer zu schaffen machen.“ Sie rät Firmen: „Wenn wir weiter vor der Generation Z buckeln, dann kriegen wir in Deutschland ein gesamtwirtschaftliches Problem.“

Einige der oft wohlbehütet aufgewachsenen jungen Menschen hätten gar nicht richtig gelernt, mit Kritik oder Herausforderungen umzugehen, sagt Nickel. Viele ihrer Kunden berichteten, „dass sie bei der zweiten Äußerung von Kritik dann eben wieder weg sind und das Firmenhopping losgeht.“ Nach ein paar Jahren werden die vermeintlich schlechten Erfahrungen mit den Arbeitgebern wie Rabattmarken gesammelt und die eigene negative Hypothese bestätigt sich. „Doch wer wegläuft, kann nichts gestalten“, gibt Nickel zu bedenken.

Sie sieht die Gründe für die meisten Sorgen der jungen Generation schwinden. Denn in vielen Unternehmen wandelt sich die Kultur erheblich. Kontrolle mit Weisung und Gehorsam schwindet, der Trend geht zu mehr agilem Arbeiten. Führung verstehe sich auch mehr als Dienstleistung, mit Coaching als Führungsinstrument, sagt Nickel. „Chefinnen und Chefs sind nicht mehr so schlimm wie bei Mama und Papa damals – das könnte man den jungen Leuten guten Gewissens auch heute schon sagen.“

Den Personalverantwortlichen rät sie, die Vorteile der Beschäftigten in den 40ern und 50ern zu sehen, der Generation X oder der Babyboomer. Sie sind Digital Immigrants, nicht mit Smartphone und Social Media aufgewachsen und haben deshalb Erfahrung mit der alten und der neuen Welt. Sie haben das Durchhaltevermögen und die Disziplin von den Boomern gelernt und teilen den Wunsch nach Flexibilität und Wertschätzung ihrer Kompetenzen sowie Work-Life-Balance mit den Jüngeren.

Lob der Generation X 

„Die Generation X kann ideal zwischen den Generationen vermitteln mit all ihren Erfahrungen und Soft Skills, die oft unterschätzt werden“, sagt sie. „Die Xler schmeißen nicht bei jeder Herausforderung sofort hin und haben den Realitätscheck in den Unternehmen vollzogen. Sie sind im Unternehmen extrem gut vernetzt und gut darin, Schnittstellen und Stakeholder zu managen. Sie wissen, wie man Dinge geschickt kommuniziert und adressiert und Projekte intern ins Rollen bringt“, sagt Nickel. „Auf der anderen Seite ist es ja so, dass die Jüngeren sich natürlich mit den digitalen Tools sehr gut auskennen. Deswegen ist ein Duo zwischen Alt oder Mittelalt und Jung sicherlich eine günstige Variante.“

Es gibt noch ein weiteres Argument, dass für Ältere spricht: In einer groß angelegten Studie hat die Karriereplattform Stepstone ermittelt, dass Beschäftigte umso mehr emotional an den Arbeitgeber gebunden sind, je älter sie werden. Auch bei der Frage danach, ob sie Spaß am Job haben, zeigt sich: Bei der jüngeren Generation ist das deutlich geringer ausgeprägt als bei der Älteren. Wer motiviertes und dem Unternehmen zugeneigtes Personal sucht, sollte deshalb aufs Alter schauen.

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