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Personal > Ende des Jobwunders

Am Arbeitsmarkt trübt sich die Stimmung ein

Seit Jahren war die Rede von der „Arbeiterlosigkeit“: Es gab mehr Stellen als Nachfrager und Kandidaten konnten sich den besten Arbeitgeber aussuchen. Doch damit ist Schluss. Am Arbeitsmarkt ziehen Gewitterwolken auf. Für Arbeitnehmer wird es schwieriger Lohnforderungen durchzusetzen.

Eine Frau packt ihre Büro-Utensilien in einen Karton. Der Job ist verloren: Nach Jahren, in denen der Arbeitsmarkt für Kandidaten alles hergab, dreht sich jetzt der Trend. Bildquelle: Shutterstock

Die Wirklichkeit ist immer unbequem für alle die, die vom schönen Schein ganz gut leben. Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Er ist angeblich robust, die Rede ist seit Jahren nicht mehr von Arbeitslosigkeit, sondern von „Arbeiterlosigkeit“. Autor Sebastian Dettmers hat sogar im vergangenen Jahr ein Buch darüber geschrieben, und Dettmers muss es wissen, denn er ist im Hauptberuf Chef der Jobbörse Stepstone. 

Da jedoch beginnt auch das Problem. Rund 1000 deutschsprachige Jobportale gibt es inzwischen, bei manchen ist für jeden etwas dabei, bei manchen geht es nur um Führungskräfte und anderswo nur um bestimmte Branchen. Inzwischen gibt es sogar Tools im Netz, um die richtige Jobbörse zu ermitteln, auf der die Chance dann für ein beidseitig erfreuliches Treffen von Arbeitgeber und- nehmer am vielversprechendsten ist. Die Jobvermittler selbst sind in Zeiten, in denen Arbeitgeber händeringend Personal suchen, eine Boom-Branche geworden, die davon lebt, dass die Fluktuation hoch und der Markt in Bewegung ist. Eine Situation, wie sie vor zwei Jahrzehnten einmal war, dass angesichts von vier und mehr Millionen Arbeitslosen in Deutschland jede und jeder seinen Arbeitsplatz festhält, so gut es geht, kann diese Branche nicht gebrauchen.

Und so kommt es, dass die Zahl der Tipps für Arbeitgeber, wie sie sich um den geeigneten Kandidaten bemühen sollten, exponentiell gewachsen ist. Ein Trend dagegen, der sich jetzt abzeichnet, hat die Jobbörsen noch nicht erreicht, vielleicht wäre er auch zu gefährlich fürs Geschäft: Denn der Arbeitsmarkt dreht gerade. Es könnte sein, dass das deutsche Arbeitswunder – eine hohe Beschäftigungsquote also trotz schrumpfender Wirtschaft – vorbei ist. Die Zahlen und Statements der Ökonomen und Statistiker sprechen jedenfalls eine eindeutige Sprache.

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Juli auf 2,6 Millionen Menschen gestiegen. Das waren 62.000 mehr als im Juni und 147.000 mehr als vor einem Jahr, teilte jüngst die Bundesagentur für Arbeit mit. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich damit um 0,2 Prozentpunkte auf 5,7 Prozent. Verglichen mit Zahlen von vor 20 Jahren, als genau 4,4 Millionen Menschen in Deutschland keine Arbeit hatten, klingt das harmlos. Und die Sommerzeit, in der Arbeitsverträge enden und neue noch nicht geschlossen sind, tut ihr übriges. Aber Bundesarbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatten zum ersten Mal seit Jahren nicht mehr die Wahl, ob sie die Lage als „robust“ oder „stabil“ beschreiben sollten, sondern Nahles sagte klipp und klar: „Das Wachstum verliert zusehends an Schwung.“ Die Nachfrage nach Arbeitskräften sei zurückhaltend, die Zahl der offenen Stellen nehme ab. „Die schwache Konjunktur hinterlässt auf dem Arbeitsmarkt Spuren.“

Auch Ökonomen sehen Anzeichen für eine Abschwächung der bisherigen Beschäftigungsdynamik. Klaus Wohlrabe vom Münchner Ifo-Institut hat womöglich wie kein anderer Ökonom das Ohr am Puls des Arbeitsmarktes. „Nahezu alle Branchen werden vorsichtiger bei Neueinstellungen“, sagt er. Das sogenannte Ifo-Beschäftigungsbarometer zeigt nach unten. Mit Neueinstellungen sei gegenwärtig nur bei den Dienstleistern zu rechnen, dort vor allem im Tourismus sowie in der IT-Branche. In der Industrie wird verstärkt über Entlassungen nachgedacht, insbesondere in der Chemischen Industrie und der Metallbranche. Auch der Handel neigt dazu, mit weniger Personal auszukommen. Die Rezession im Baugewerbe hat bereits zu einer leichten Tendenz geführt, Mitarbeiter zu entlassen. 

Damit macht ein Trend einen anderen zunichte. Was den Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren bestimmt hatte, war ein demographisches Phänomen: Die Babyboomer, also die Generation der vielen, die in den 60ger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Licht der Welt erblickten, verabschiedet sich in den Ruhestand. Die Folgen sind in den Sozialversicherungssystemen zu spüren, wo immer weniger Versicherte immer mehr Leistungsbezieher finanzieren müssen. Sie sind aber eben auch in den Betrieben zu sehen, wo die Zahl der Abschiedsfeiern verdienter Kollegen diejenige der Willkommensgrüße an junge Talente übersteigt. Die Folge war jene Arbeiterlosigkeit, die Autoren wie Dettmers beschreiben. Dieser Trend wird inzwischen jedoch durch die herrschende Rezession mehr als wettgemacht.

Ein bevorstehender Umschwung am Arbeitsmarkt kann für Karriereportale ungemütlich werden. Sie sind deswegen nicht mehr der beste Ratgeber, wenn es um eine solide Einschätzung der Lage geht. Aufschlussreicher ist zum Beispiel das, was die Branche der Zeitarbeitsfirmen derzeit mitteilt. Denn: Geht es den Unternehmen schlecht, trennen sie sich in der Regel zunächst von ihrem Fremdpersonal und schonen die Stammbelegschaften. Umgekehrt versuchen Firmen oft, mit einem konjunkturellen Aufschwung einhergehende Auftragsspitzen zunächst mit Leiharbeitnehmern aufzufangen. Sowohl der Bestand als auch der Neuzugang an offenen Stellen bei den Leiharbeitsunternehmen sind zuletzt deutlich gesunken.
Ungemütlich wird es aber auch für die, die eine Stelle suchen. Sie müssen ihre Ansprüche zurückschrauben. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, sind die Reallöhne im 1. Quartal dieses Jahres bereits gesunken, was vor allem auf die hohe Inflation zurückzuführen war. Künftig könnten aber auch Arbeitgeber mit Knausrigkeit durchkommen, wenn gute Jobs zur Mangelware werden.
 

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