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Mittel im Kampf gegen den Azubi-Mangel

Neue Zahlen zum Schul- und Ausbildungsmarkt erschrecken. Der Mangel an Auszubildenden dürfte noch größer werden. Im Interview gibt eine Expertin Rat, was Betriebe gegen den Azubi-Mangel tun können.

Simulationsstand
Immer unfallfrei: Eine Schülerin probiert in einem Simulationsstand aus, wie sich ein Transporter fahren lässt. Bild: picture alliance/dpa | Michael Matthey

Das Land der Dichter und Denker verdummt. Eine harte These, die aber durch einige Zahlen belegt wird: Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat errechnet, dass es 2022 für mehr als 630.000 offene Stellen rechnerisch keine passend qualifizierten Arbeitslosen gab. Zum ersten Mal gibt es hierzulande mehr als 2,5 Millionen Menschen, die über keinen Berufsabschluss verfügen. Die Zahl dürfte dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge weiter steigen. Konkret geht es hier um die Altersgruppe der 20- bis 34-Jährigen. Waren 2020 noch 15,5 Prozent von ihnen in Deutschland ohne Schulabschluss, waren es im vergangenen Jahr 17 Prozent.

Chancenlos sind Ungelernte keineswegs, der Arbeitsmarkt fragt sie derzeit mehr nach. Die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in Helferjobs lag im September 2022 um 3,4 Prozent über dem Vorjahreswert. Offene Stellen gibt es in der Gastronomie, an Flughäfen, bei Lieferdiensten oder in den Supermärkten.

Das macht sich auch bei der Bezahlung bemerkbar: Die Tariflöhne für Ungelernte stiegen von 2020 bis Ende 2022 um mehr als zehn Prozent, wie das Statistische Bundesamt berechnet hat. Selbst Fachkräfte bekamen nur rund vier Prozent mehr. Das IAB rechnet mit einem Effekt, den Mittelständler nicht gern hören: Angesichts der Lohnentwicklung bei Ungelernten könnten sich mehr Jugendliche die Frage stellen, ob sich eine Ausbildung lohnt.

Wo die Misere beginnt, zeigt eine weitere Zahl: Rund 50.000 Jugendliche verlassen bundesweit jedes Jahr ohne Abschluss die Schule, rund sechs Prozent eines Jahrgangs. Die Quote ist unter Ausländern doppelt so hoch wie unter Deutschen. Auch Gymnasiasten brechen die Schule ab, oft solche, deren Talente nie erkannt wurden. Mit jedem Ungelernten vergrößert sich der Mangel an Fachpersonal am Arbeitsmarkt. Und die Folgen sind für den Sozialstaat erheblich. Betrug 2022 die Arbeitslosenquote 5,3 Prozent, lag sie bei den Ungelernten bei knapp 20 Prozent. Von den 881.000 Langzeitarbeitslosen haben 60 Prozent keine abgeschlossene Ausbildung.

Datenschutz bremst die Hilfe

Ein Problem: Die Berufsberater kommen derzeit nicht an die Daten von schlechteren Schülern, um sich gezielt um sie kümmern zu können, wie ­Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, beklagt: „Wir verlieren wegen ungeklärter Datenschutzfragen jährlich bis zu 130.000 junge Leute, bei denen dann später Streetworker mühsam versuchen, wieder mit ihnen in Kontakt zu treten.“

Es kostet jedoch nichts, wenn Unternehmen mehr Mut zeigen, jungen Menschen ohne Schulabschluss eine Chance zu geben. Hier gibt es immer mehr Ausbildungsberater zum Beispiel in Handwerkskammern, die Unternehmen bei ihrer Suche nach Azubis unterstützen. Wenn Noten nicht mehr das wesentliche Kriterium sind, können junge Menschen – wenn sie eine Chance bekommen – durch Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und hohe Motivation überzeugen.

Bessere Rahmenbedingungen will die Ampelregierung durch das neue Weiterbildungsgesetz schaffen – einschließlich einer Ausbildungsgarantie: Wer keinen Platz in einem Betrieb bekommt, soll ein Anrecht auf eine überbetriebliche Ausbildung erhalten. Gewerkschaften begrüßen die Idee. Die Arbeitgeber argumentieren, dass es ohnehin schon mehr Stellen als Kandidaten gibt. Sie fordern eine bessere Berufsorientierung in den Schulen. 2022 begannen 469.000 junge Menschen eine solche Ausbildung, die Zahl ist historisch niedrig. Ein Grund: Viele sind das Lernen nach der Corona-Phase nicht mehr gewohnt und tun sich schwer, den Ansprüchen in der Berufsschule gerecht zu werden. Immer mehr Unternehmen unterstützen beim Lernen, was sich für sie am Ende rechnet. Die Bundesagentur für Arbeit bezuschusst Praktika und ausbildungsbegleitende Hilfen wie Förderunterricht und sozialpädagogische Begleitung.

„Entfachen Sie Leidenschaft“

Betrieben fehlt es an Auszubildenen – auch weil sie viel falsch machen. Ein Gespräch über wirksame Maßnahmen. Das Gespräch führte Thorsten Giersch.

Carola Schneider kämpft seit vielen Jahren „an der Azubi-Front“, wie sie es ausdrückt: Sie ist gelernte Maschinen- und Anlagenmonteurin und Berufsschullehrerin. Sie berät Betriebe, wie sie junge Leute für sich begeistern.

Welche wesentlichen Fehler machen Unternehmen?
Ich beobachte dieses Feld seit 15 Jahren und stelle fest, dass es ein schwarzes Loch gibt. Die 14- bis 16-Jährigen wissen oft nicht, was sie werden wollen. Und Erwachsene wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Man darf die Jugendlichen nicht wie Kinder behandeln, sollte sie trotzdem an die Hand nehmen und ins Azubi-Land führen. Dazu sind Erwachsene wenig bereit. Stattdessen legen sie ihre eigenen Maßstäbe an und denken, sie können Jugendliche allein dadurch gewinnen, dass sie sich etwa auf Messen präsentieren. Die Methodik der Azubi-Gewinnung stimmt nicht. Damit ergibt sich eine ganz schöne Palette an Fehlern, die aber meistens nicht bewusst gemacht werden.

Was sind die großen Mythen?
Ein Mythos ist, dass Jugendliche nicht ausbildungsfähig sind. Ein anderer lautet, sie seien nicht ausbildungswillig. Und dann gibt es noch den Mythos: Wer sich bei uns nicht bewirbt, will auch keine Ausbildung. Das stimmt in aller Regel nicht. Sie müssen mal die leuchtenden Augen sehen von Jugendlichen, die das erste Mal in ihrem Leben in eine Produktionshalle kommen! Und dort den Beruf Werkzeugmechaniker ausprobieren und nun vor diesen riesigen Maschinen stehen. Da soll noch einmal einer sagen, die wollen keine Ausbildung. Das stimmt nicht. Es wird ihnen häufig einfach ausgeredet.

Gerade auch den Mädchen?
Es würde Ihnen das Herz aufgehen, wenn sie erleben könnten, was ich erlebe, nämlich dass beim Berufstest zum Gleisbauer, Elektroniker oder Instandhaltungsmechaniker immer viele Mädchen dabei sind. Die sind neugierig und interessiert. Ob sie nachher auch dort landen, ist eine andere Sache. Ich erlebe, dass immer mehr Mädchen einen technischen Beruf ergreifen.

Was sollten Betriebe tun?
Das Wichtigste ist, die Leidenschaft zu entfachen. Also zu den Schülerinnen und Schülern in die Klasse gehen und sie von Beruf und Betrieb begeistern. Ist das gelungen, sind wir noch lange nicht bei der Bewerbung. Im zweiten Schritt braucht es eine „Probefahrt“: Das heißt, die jungen Menschen zu sich in den Betrieb einladen, sie ausprobieren lassen. Alles in einem festgelegten Programm von maximal drei Stunden an einem Samstagvormittag, wo sie freiwillig hinkommen, gern mit ihren Eltern.

Was wäre der nächste Schritt?
Dann kommt das Beharrlichbleiben, aber bitte nicht nerven. Und die Frage: Willst du den nächsten Schritt? Willst du vielleicht ein Praktikum machen in den Ferien? Es ist wie eine Entdeckerreise, bei der man in Kontakt bleibt. Ich mache das über WhatsApp. Nachfragen und Fragen beantworten, zum nächsten Termin einladen, die nächste Möglichkeit unterbreiten. So baut man eine Kommunikationskette auf, die Vertrauen schafft. Man sollte mit den jungen Leuten umgehen wie mit Kunden.

Dafür braucht ein Mittelständler die richtigen Menschen. Und die müssen mit Enttäuschungen klarkommen, oder?
Ich nenne die Leute Ausbildungsplatz-Verkäufer oder -Verkäuferinnen. Wir wollen die Ausbildungsplätze vermarkten, und dazu braucht es Menschen, die darauf Lust haben. Natürlich gibt es Enttäuschungen, immer wieder auch Absagen. Aber das sollte niemand als was Schlimmes ansehen. Woher sollen Jugendliche die Sicherheit nehmen, was sie werden wollen? Sie haben Familien- und Schulerfahrung, aber keine Arbeitswelterfahrung.

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