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Personal > Mitarbeiterzufriedenheit

Comeback der Kantine

Mitarbeiter wollen von zu Hause aus arbeiten, Unternehmen brauchen sie im Büro. Wie Toparbeitgeber das Problem lösen.

Essen und quatschen: Die Kantine gehört zu den Orten in größeren Unternehmen, an denen Mitarbeiter sich zwangloser treffen, der soziale Zusammenhalt entsteht.
Essen und quatschen: Die Kantine gehört zu den Orten in größeren Unternehmen, an denen Mitarbeiter sich zwangloser treffen, der soziale Zusammenhalt entsteht. Bildquelle: © picture alliance / ANP

Für Sebastian Kersch ist es Lebensqualität pur, an vier Tagen pro Woche zu Hause zu arbeiten. „Die Erlebnisse in diesen Jahren kann mir keiner nehmen“, sagt der 41-Jährige über den neuen Alltag, den er seit 2020 lebt. Vorher war er 60 Stunden pro Woche im Büro oder auf Reisen. Der erste Corona-Lockdown fiel in die Zeit, als seine Tochter geboren wurde. „Ich sehe sie nun aufwachsen und teile mir die Care-Aufgaben mit meiner Frau.“ Die Arbeitszeit, die dafür tagsüber draufgeht, holt er morgens vor und ab 20 Uhr nach, sodass sein Stundenpensum erreicht wird. „Und ich spare die Zeit fürs Pendeln.“

Willkommen in der Ära des Homeoffice. Heute arbeiten je nach Umfrage zwischen 25 und 40 Prozent der Werktätigen in Deutschland partiell daheim, vier Prozent ausschließlich. Von diesem „Sockel“ gehen vor allem in bürolastigen Branchen viele Personaler auch in Zukunft aus. Für viele Menschen ist das Homeoffice pure Lebensqualität, aber die meisten Arbeitgeber stehen vor einem Dilemma, weil die Produktivität leidet, die Bindung zum Unternehmen verloren geht und die Stimmung im Betrieb kippt. 
 

Verschwimmende Grenzen

Kreative Lösungen sind gefragt, um die Menschen zu Hause arbeiten zu lassen, an bestimmten Tagen aber auch ins Büro zu locken. Deutschlands Toparbeitgeber haben einige gefunden: Bars im Betrieb und gemeinsame Kochtreffen der Abteilungen gehören dazu, aufgewertete Kantinen auch. Aber auch völlig neue Arbeitsabläufe und neu gestaltete Büros. Denn was Führungskräfte nicht vergessen sollten: Die neue Form der Arbeit hat auch für die Beschäftigten Nachteile. 

Mehr als die Hälfte der neuen Heimarbeiter beklagen in einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung, dass ihre Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend verschwimmen. Zudem fühlten sie sich verpflichtet, auch außerhalb der Bürozeiten erreichbar zu sein. Je seltener Heimarbeiter sich im Unternehmen blicken lassen, umso schwieriger wird es, sie in das berufliche Team einzugliedern. Und die Chancen auf den beruflichen Aufstieg sinken. 

Zudem klafft bei dem Thema eine Wahrnehmungslücke zwischen beiden Seiten. Auf die Frage, wie gut der Arbeitgeber individuelle Bedürfnisse in der betrieblichen Termingestaltung berücksichtigt, lobten 59 Prozent der Unternehmer ihren Einsatz mit der Bestnote „häufig“. Bei ihren Beschäftigten waren es 19 Prozent. Yvonne Lott, Wissenschaftlerin der Hans-Böckler-Stiftung, hält in einer Studie fest: „Vorgesetzte beurteilten ihre Mitarbeiter im Homeoffice oft nicht nach fairen Kriterien.“ Zudem seien von negativen Bewertungen häufiger Frauen als Männer betroffen. Im Büro hielten 54 Prozent der Chefs und Chefinnen die Ergebnisse ihrer Mitarbeitenden für „sehr gut“ bis „exzellent“. Im Homeoffice waren es nur noch 41 Prozent.

Ob die Beschäftigten im Homeoffice produktiver arbeiten, hat Ricardo Hausmann erforscht. Der Harvard-Ökonom wies nach, dass virtuelle Arbeit geringere Produktivität erzeugt – im Durchschnitt wohlgemerkt. Es gibt den „Kollegeneffekt“: Die Langsamen lassen sich von den Schnellen mitziehen, die Schwächeren von den Stärkeren. Das geht im Büro leichter. Und dort entsteht auch das eminent wichtige Gefühl, dazuzugehören und einen Beitrag zu leisten. 

Dass die Produktivität leidet, ist nur eine der Schattenseiten des Homeoffice. Der soziale Kitt geht dort genauso leicht flöten wie die Bindung zur Identität des Arbeitgebers, wodurch die Fluktuation in der Belegschaft zunimmt. Zudem sind viele Chefinnen und Chefs mit digitaler Führung überfordert. „Die Technik kam durch die Pandemie schneller in die Unternehmen, als wir uns daran gewöhnen konnten. Jetzt sind wir mitten in einem Reifeprozess. Das gilt auch für die Frage, was die richtige Mischung aus Homeoffice und Büroarbeit ausmacht“, sagt Oliver Gürtler, Leiter des Mittelstandsgeschäfts von Microsoft Deutschland. „Was die neue Form der Arbeit für Recruitung, Management oder die Zufriedenheit der Mitarbeitenden bedeutet, da gibt es nur bei wenigen Firmen einen Standard.“

Mehr Freiheit, gleiche Sicherheit

Vereinfacht ausgedrückt ist die Lage derzeit so: Führungskräfte würden ihre Leute gern wieder häufiger im Büro sehen, aber viele wollen nicht öfter kommen. Die Betriebe scheuen sich, allzu viel Druck auszuüben, weil sie befürchten, dass die Beschäftigten das Unternehmen verlassen und der Personalmangel noch größer wird. Reinhard K. Sprenger gilt als einer der bekanntesten Kritiker des Homeoffice in Deutschland. Der Unternehmensberater und ehemalige Topmanager benennt das große Dilemma, vor dem Betriebe derzeit stehen: „Viele Mitarbeiter folgen einer Jobethik, keiner Berufsethik: Sie wollen selbstständig arbeiten, ohne selbstständig zu sein, größere Freiheit bei gleicher Sicherheit genießen.“ Die Ansprüche sind enorm und decken sich nicht bei der Frage des Arbeitsortes mit den Wünschen der Firmen nach größtmöglicher Produktivität. 
Zudem gibt es wichtige Mythen: „Der kreative Prozess wird oft missverstanden als einsames Tüfteln verschrobener Weltabwendung. Wer sich aber in der Wirtschaftsgeschichte umschaut, wird feststellen: Kreativität entsteht durch Pingpong-Effekt in den Köpfen“ – also weniger durch geniale Geistesblitze als durch mehr Zusammenarbeit, gegenseitiges Stimulieren in freundlicher Stimmung und nicht zuletzt auch durch Humor. Die Wirkung eines Unternehmens definiert sich über die Zusammenarbeit von Menschen, nicht über die Leistungen Einzelner. Im Sport würde man es so ausdrücken: Wir spielen als Mannschaft, nicht in einer Mannschaft. Und das Büro ist – wenn es gut gestaltet ist – das ideale Kooperationssystem. Betriebe müssen eben genau definieren, was daheim erledigt werden kann und was nicht. Sprenger drückt es so aus: „Management geht online, Führung nicht. Organisation geht online, Kreativität nicht. Koordination geht online, Zusammenarbeit nicht.“ 

Das derzeit in den großen Techunternehmen des kalifornischen Silicon Valley propagierte Motto „Arbeite im Büro oder kündige“ kann sich kaum ein Mittelständler leisten, es braucht also intelligente Mittelwege. Wie dieser Grauton zu Gold werden kann, zeigt Adesso. Der IT-Dienstleister aus Dortmund ist gerade von der Beratungsfirma Great Place to Work zum „Arbeitgeber des Jahres“ gekürt worden. Grundlage ist die Befragung von Zigtausenden Mitarbeitern. 
 

Dirk Pothen, Vorstandsmitglied bei Adesso, beschreibt die Herausforderung so: „Das Büro muss nach drei Jahren Corona mit dem individuell passend eingerichteten Homeoffice konkurrieren. Natürlich sagen dir viele: Daheim ist es ruhiger, hier werde ich ständig gestört.“ Kulturelles Zusammengehörigkeitsgefühl erfordere aber physische Erfahrungen. „Wir müssen die Menschen zusammenbringen. Wenn Beschäftigte nicht wegen der Arbeitsplätze kommen, dann brauchen wir einen anderen Grund.“ Das Büro müsse sich wandeln vom „great place to work“ zum „great place to be“ – vom „großartigen Ort zum Arbeiten“ zum „großartigen Ort, an dem man sein will“. 

Also installierte Adesso Küchen, wo Projektteams auch mal gemeinsam kochen können. Es gibt gut möblierte Bars, die man für Pokerabende nutzt. Das koste Geld, aber „wenn man die Menschen so ins Büro holt und sie positive Erfahrungen machen, die Bindung erhöhen, das Leistungsversprechen von Adesso als erfüllt ansehen, dann lohnt es sich“, sagt Pothen. Dazu gehöre aber auch, diese Bürotage zeitlich anders zu gestalten. Mails und Videokonferenzen gehören in die Homeoffice-Tage. „Die schönste Lounge nutzt nichts, wenn keiner Zeit hat, drinzusitzen.“ Yogakurse, Sport im Rahmen der Arbeitszeit – all das fördert auch die Gemeinschaft. Und Pausen zu machen, ist ausdrücklich erlaubt. 

Auch Andreas Schubert, Geschäftsführer von Great Place to Work Deutschland, betont, dass Anreize besser sind als Quoten oder andere Vorgaben: „Man muss die Leute physisch zusammenführen, aber nicht per Regel, sondern das muss man gestalten. Gute Events gehören dazu.“ Zudem dürfe es keine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben in den Betrieben. Man muss also auch die mitnehmen – mit anderen Mitteln –, die nicht von daheim aus arbeiten können. „Das ist die größte Herausforderung“, sagt Schubert. 

Die Fahrt ins Büro muss aus Sicht der Beschäftigten also sinnvoll sein, einen Zweck erfüllen. Warum das physische Treffen von Kolleginnen und Kollegen so wichtig ist, haben Neurowissenschaftler intensiv erforscht: Es kommt nicht nur darauf an, wie unsere Gehirne Signale empfangen, sondern auch, in welchem Umfeld. Genau deswegen führt die bewegungsarme Konversation via Videokonferenz auch so oft zu unliebsamen Missverständnissen: Nonverbale Hinweise lassen sich schwer erkennen. 

Für Psychiater Edward Hallowell sind „human moments“, wie er es nennt, besonders wichtig. Diese menschlichen Momente sind eine zufällige, kurze Begegnung auf dem Gang oder an der offenen Bürotür. Sie geben uns Energie, weil wir auch Informationen ohne Sprache austauschen, durch Haltung und Zugewandtheit, und so empathischer wirken. Ohne diese Momente kann es kaum Zusammenarbeit und Kultur geben. Virtuelle Begegnungen sind in der Regel aufgaben­orientiert und haben eine geringe emotionale Verbindung. Chemisch betrachtet ist unser Gehirn da in einem anderen Modus als bei physischen ­Treffen. 
 

Zufällige Begegnungen und Pläusche am Kaffeeautomaten – der Kopierer ist es ja nur noch in seltenen Fällen – sind keine Zeitverschwendung, sondern wirken bei den richtigen Themen. Unternehmen können diese über Abteilungsgrenzen hinausgehenden Treffen nicht erzwingen, aber erleichtern. Beim Design von Büros haben viele Firmen solche Erkenntnisse aufgegriffen, so manche hängt aber noch am vermeintlich effizienteren Großraumbüro, Typ Legehennenbatterie. 

Nischen, Stehtisch, Kaffeeecken bei einer entsprechenden Akustik sind das Mittel der Wahl. Und natürlich eine Kantine, die nicht nur Hunger stillt, sondern in der man sich gern aufhält. Das nützt aber nur etwas, wenn es Mitarbeitern auch erlaubt ist, Arbeitszeit mit „Plaudern“ zu verbringen. Auch sollten Vorgesetzte vorleben, welche Art von Kommunikation erwünscht ist: häufige Ansprechbarkeit statt stundenlanger Meetings zum Beispiel. Anwesenheit im Büro sollte auf jeden Fall kein Merkmal von Arbeitsleistung mehr sein. 

Sick ist Dritter in der Liste der besten Arbeitgeber Deutschlands. Personalleiterin Cornelia Reinecke hat früh angefangen, gemeinsam mit den Betriebsräten eine zeitgemäße Betriebsvereinbarung aufzustellen, „auch um den Menschen Sicherheit zu geben“. Überall da, wo die Arbeitsaufgabe das hergibt – bei Sick fallen viele Jobs in der Produktion oder im Labor nicht darunter – haben die Mitarbeitenden einen Anspruch, 50 Prozent ihrer Arbeitszeit mobil zu arbeiten. „In Abstimmung mit der Führungskraft und dem Rest des Teams kann es auch mehr sein. Einen Rahmen zu haben plus diese individuelle Lösung, ist bei den Beschäftigten sehr gut angekommen.“ 

Etwas hat sich dramatisch geändert im Zuge der Corona-Zeit: „Früher wurden die Beschäftigten oft nach Überstunden bewertet, nicht nach Wirkung.“ Der Maßstab war Zeit. Während der Lockdowns hätten sich viele Führungskräfte gefragt, wie man denn nun mitbekommt, was die Leute machen. Und so begannen sie immer mehr auf Wirkung zu achten. „Wir brauchen andere Kriterien für Perfomance-Messung – und das ist nicht Zeit, sondern Wirkung, Ergebnisse.“ 

Sebastian Kersch ist froh, dass sein Arbeitgeber auch nach dieser Logik verfährt. So schön wie das Homeoffice für ihn und seine Familie in dieser Lebensphase ist: Er freut sich über jeden Tag im Büro und möchte später auch wieder mehr Tage dort verbringen.

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