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Personal > Die besten Arbeitgeber

Wo sich Mitarbeiter wohlfühlen

In Zeiten des Personalmangels können Betriebe die Ansprüche ihrer Beschäftigten immer weniger erfüllen. Die Rezepte von Deutschlands besten Arbeitgebern.

Großer Zusammenhalt: Mitarbeiter der Firma Wasserle haben ein ikonisches Bild aus dem New York von vor 100 Jahren nachgestellt. Es betont den Zusammenhalt. Das Originalbild ist in Schwarz-Weiß, wir haben es mit einem KI-Programm koloriert. Bildquelle: Wasserle

Es geht um Kekse. Für Dirk Pothen sind sie ein Symbol für den Unterschied zwischen guten und schlechten Arbeitgebern. Es gibt die, die Mitarbeiter mit kostenlosem Kaffee, Obstkörben, Leckereien und vollen Kühlschränken verwöhnen. Und es gibt die, die die Kekse aus den Konferenzräumen verbannen, um Kosten zu senken. Sparen am falschen Ende. „So etwas hilft nicht, es schadet eher“, sagt Pothen, Vorstandsmitglied bei Adesso und dort verantwortlich fürs Personal. Der IT-Dienstleister aus Dortmund ist gerade von der Beratung Great Place to Work als „Arbeitgeber des Jahres“ ausgezeichnet worden. In der Studie werden jährlich Hunderttausende Beschäftigte befragt. Die Auswertung gilt als die glaubwürdigste in Deutschland. 

Für die Zufriedenheit der Mitarbeiter nehme Adesso Geld in die Hand, sagt Pothen. „Es ist eine untypische Allokation von Kosten, die wir vornehmen: Wir investieren nicht alles in die Gehälter, sondern geben das Geld auch gezielt für diverse Zusatzleistungen aus.“ Das Gesamtpaket soll stimmen, um die Leute glücklich zu machen. Attraktive Büros inklusive Verpflegung gehören dazu. 

Aber Kekse sind nur das eine. Am anderen Ende der Skala: Mitarbeiter in der Türkei verlieren, wie jüngst, bei einem Erdbeben ihr Hab und Gut und erhalten sehr schnell vom Arbeitgeber Hilfe inklusive Unterkunft. Adesso hat eine eigene Stiftung für Notfälle – Teil des Programms „SOS[4]adessi“, ein Ausdruck von Solidarität. „Menschen müssen abgesichert sein. Auch wenn wir so groß geworden sind, dass wir nicht mehr jedes ,Familienmitglied‘ persönlich kennen, dann wollen wir zumindest familiäre Reflexe zeigen“, sagt Pothen. 

Zwischen den beiden Extremen liegt all das, weshalb sich Menschen auf den Montag freuen. Die Arbeitswelt hat sich fundamental gewandelt, seitdem sich Betriebe bei Bewerbern vorstellen und nicht mehr umgekehrt. Und die Unterschiede zwischen beliebten und unbeliebten Arbeitgebern nehmen messbar zu. Dass Adesso top ist, hat für Pothen, erster Punkt, mit dem Geschäftserfolg zu tun. „Wir sind ein auf Wachstum ausgerichtetes Unternehmen, das macht vieles leichter. Bei uns gibt es kaum Kampf um Karriere.“ 

Zweiter wichtiger Punkt: Neue Kunden bringen auch neue, reizvolle Aufträge mit sich – das Salz in der Suppe für technikaffine Menschen. „Unternehmen, die nur wenige spannende Projekte umsetzen, die haben keine Chance, dauerhaft die gleiche Mitarbeiterzufriedenheit zu bekommen – egal, wie viel Mühe sie sich intern geben“, sagt Pothen. 

Der dritte Erfolgsfaktor ist die hohe Eigenverantwortung: Abgesehen von den Querschnittsfunktionen arbeiten die „Adessi“ nicht in Abteilungen, sondern in Projekten. Von Mikromanagement und Vorgaben hält Pothen nichts: „Nenne mir eine Regel, und ich sage dir, die Organisation wird sie umgehen. Und wenn man die Regel nachschärft, wird eine Spirale in Gang gesetzt, die nicht gut ist.“ Eine Regel allerdings hat Adesso doch: jedes Jahr einen Kernprozess abzuschaffen. Kein leichtes Vorhaben für eine Organisation, die schnell wächst. Dennoch: 2021 wurde in Deutschland die Finanzplanung für die Geschäftsbereiche abgeschafft, 2022 die Reisekostenrichtlinie ersetzt durch einen Satz: Reist so, wie es für Adesso und die Umwelt vorteilhaft ist. Weniger Regeln bedeuten weniger Kontrollaufwand und bessere Stimmung. Wie man da die Balance hält, erklärt Pothen so: „Wir schaffen hier Freiheit, und die hat eine schöne Seite. Aber die andere Seite ist die Übernahme von Verantwortung.“

Und was ist mit denen, die das nicht wollen oder können? „Es gibt immer ein paar Prozent Mitarbeiter, die nicht gut finden, was wir machen.“ Man versuche gar nicht erst, durch Kontrollmechanismen diese Leute zu identifizieren. Das koste viel Energie und belaste auch alle anderen. „Bei uns gibt es die unglaubliche Gewissheit, dass wir die Menschen irgendwann sehen, die bei uns nicht reinpassen.“ Dann erfordere es aber auch Härte und konsequentes Vorgehen. „Und in der eingesparten Zeit gehen wir zum Kunden und wachsen lieber wieder um 25 Prozent.“ 

Zehn neue Mitarbeiter pro Tag

Adesso hat laut eigener Aussage eine Kündigungsquote von acht Prozent. Und das in der wechselwilligen IT-Branche und bei einem Stellungzuwachs von mehr als 30 Prozent pro Jahr. Angesichts dessen ist der Wert weit unter der Benchmark. 2022 hat Adesso mehr als zehn neue Mitarbeitende eingestellt – pro Tag. Inzwischen arbeiten 9200 Menschen an 58 Standorten weltweit. Um die 50.000 Bewerbungen waren eingegangen. 


Für Andreas Schubert, Geschäftsführer von Great Place to Work Deutschland, ist die Logik hinter dem Fall Adesso die Regel, nicht die Ausnahme: Investitionen in das Personal lohnen sich. „Kultur macht den Unterschied. Und ihr wesentlicher Kernaspekt ist das erlebte Vertrauen in der Organisation“, sagt Schubert. Sein umfangreiches Zahlenwerk belegt: Gute Arbeitgeber haben drei Vorteile. Sie erreichen erstens eine vier Mal höhere Bewerberquote. Sie verlieren zweitens ihre guten Leute nicht so oft. Die Fluktuation liegt um 53 Prozent niedriger bei diesen Unternehmen. Diesen Effekt kann man in Euro beziffern, schließlich dauert es laut Studien 1,3 Jahresgehälter, bis ein neuer Mitarbeiter dieselbe Wirksamkeit auf derselben Stelle hat. 

Drittens haben gute Arbeitgeber eine Krankenstandsquote, die deutlich unter dem Durchschnitt liegt. An den börsennotierten Konzernen ist abzulesen, dass Unternehmen mit einer hohen Mitarbeiterzufriedenheit drei Mal besser laufen. „Das soll nicht wundern: In schwachen Kulturen bin ich als Chef der Einzige, der es voranbringt. In starken Kulturen habe ich eine ganze Mannschaft, die es voranbringt“, sagt Schubert. Eine entscheidende Maßnahme ist aus Sicht des Experten die anonyme Umfrage in der Belegschaft: „So wie Unternehmen ihre Kunden regelmäßig befragen, ob sie zufrieden und gebunden sind, so muss man auch die Mitarbeitenden regelmäßig befragen.“ 

Zwei Faktoren seien für die Mitarbeiterzufriedenheit weit weniger entscheidend, als viele denken. Punkt eins ist die Bekanntheit der Produkte: „Man muss definitiv keine Topmarke sein, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.“ Und der zweite oft überschätzte Faktor ist das Geld: „Gehalt macht nicht den zentralen Unterschied“, sagt Schubert.

Auch für Cornelia Reinecke ist nicht entscheidend, was am Monatsende überwiesen wird: „Ein angemessenes Gehalt ist die Basis, aber kein Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb um Mitarbeitende“, sagt die Personalleiterin der Sick AG. Der Sensortechnikhersteller aus dem baden-württembergischen Waldkirch wurde Zweiter in der Liste der besten Arbeitgeber im Mittelstand. „Entscheidend ist einerseits, eine Story über den Purpose zu erzählen, die auf den Werten basiert, genauso wie auf den Produkten und Leistungen des Unternehmens.“ Andererseits sei für viele Mitarbeitende wichtig, deren Weiterentwicklung mitgestalten zu können. 

Wenn Projektarbeit nicht so eine große Rolle spielt wie bei Adesso, entscheidet nicht zuletzt das Verhalten der Führungskräfte auf den mittleren Ebenen über die Frage, wie gern die Beschäftigten zur Arbeit kommen. Die Rolle dieses Managements habe sich zuletzt stark geändert, sagt die Personalchefin. „Idealerweise schaffen sie ein Umfeld, das sowohl die Ausrichtung auf die Team-Performance als auch den Spaß an der Arbeit fördert.“ In der Ära des agilen Arbeitens sei die Führungskraft viel mehr Coach, der oder die Hindernisse aus dem Weg räumt. „Sie schafft Zielklarheit und unterlegt ein psychologisches Sicherheitsnetz, indem sie den Menschen das Gefühl gibt, auch Fehler machen zu dürfen“, sagt Reinecke. Wichtig sei, Fehler früh zu erkennen und einen guten Umgang damit zu pflegen. Der Anspruch, alles zu wissen und der bessere Experte zu sein, „ist gestrig und nicht mehr mit der Realität in Einklang zu bringen“. Die Personalchefin betont, dass dies eine große Herausforderung ist, verbunden mit erheblichen Veränderungen. 

Das sieht auch Robert Franken so, früher selbst Geschäftsführer und Berater rund um den Kulturwandel in Unternehmen. Wer ihm zuhört, merkt: So wie bei Sick oder Adesso läuft es längst nicht bei allen Mittelständlern. „Ich höre aus ganz vielen Unternehmen, dass die Leute rebellieren, wenn es bei kulturellen Veränderungen um ihre Pfründe geht.“ Seine Erfahrung zeigt: Jede Initiative ist zum Scheitern verurteilt, wenn es nur von ganz oben Anweisungen gibt oder Themen nur durch „Employee Resource Groups“ getrieben werden, „die Lehmschicht aber auf die Barrikaden oder in passiven Widerstand geht“. Daraus können große Probleme für Unternehmen entstehen. 

Streitthemen gibt es genug. Zum Beispiel, ob Teilzeit ein Karrierekiller ist. Für immer mehr Unternehmen sind Job- oder Top-Sharing-Lösungen ein wichtiges Mittel für mehr Verträglichkeit von Beruf und Familienleben – und auch effektiv: „Ich halte Tandemlösungen für hochattraktiv zur Herstellung von Perspektivenvielfalt“, sagt Franken. Typisches Beispiel: Zwei Personen mit jeweils 60 Prozent Arbeitszeit teilen sich einen Kunden, eine Führungsaufgabe, ein Großprojekt. Denkbar sind aber auch andere Kombinationen. „Eine Überlappung von Arbeitszeiten sieht auf dem Papier vielleicht zunächst wie ein Nachteil aus, in Wirklichkeit liegt genau hier der Charme“, fasst Franken zusammen. Es sei eine wichtige Aufgabe Redundanzen da wiederherzustellen, wo sie aus übertriebenem Effizienzdenken in den vergangenen Jahren rausgenommen wurden – eben damit dort wieder Luft zum Atmen ist und sich das Leistungspotenzial der Menschen überhaupt entfalten kann.

So hat auch Sick in vielen Bereichen Leitungsteams installiert: „Wenn Menschen unterschiedliche Kompetenzen haben, ist ein divers besetztes Leitungsteam deutlich effektiver“, sagt Sick-Personalchefin Reinecke. Der jüngere Kollege hat zum Beispiel technologisches Wissen, der erfahrenere Mitarbeiter ist bärenstark beim internen Stakeholder-Management – er weiß also genau, an welchen Hebeln man ziehen muss, um Projekte oder Geld zu bekommen.

Paten für die Neuen

Wer mit Konzernen aus dem Deutschen Aktienindex Dax um Topleute konkurrieren will, muss genau solche Angebote machen. Doch selbst, wenn die Neuen dann den Arbeitsvertrag unterschrieben haben, ist nicht alles sicher. Im Gegenteil. Jetzt kommt der kritische Moment, vor dem Fachleute warnen: Die Probezeit wird zur Endstation. Praktisch alle Toparbeitgeber geben sich beim Onboarding große Mühe. „Eine herzliche Aufnahme und eine gute Integration, fachlich wie menschlich – das ist von herausragender Bedeutung“, sagt Reinecke. Bei Sick wird der oder die Neue von Paten willkommen geheißen: Blumenstrauß, Begrüßung im Team, Gespräche mit Prozesspartnern, das Firmengelände wird gezeigt. „Aber vor allem erzählt der Pate oder die Patin den neuen Kollegen alles, was nirgendwo geschrieben steht.“ 

Für Dirk Pothen von Adesso entscheidet sich sogar noch früher, ob die Reise mit einem Mitarbeiter erfolgreich ist. „Wenn Sie zufriedene Mitarbeiter haben und halten wollen, dürfen sie am Anfang keine Werbeshow abziehen und die Versprechen später nicht halten. Sonst sind das nur kurzfristige Recruiting-Erfolge.“ Und auch die, die gar nicht erst kommen, sind wichtig. Adesso hat für Ehemalige und Bewerber, die man nicht genommen hat, eine eigene IT-Infrastruktur geschaffen. „Wir wollen ja eine riesige Community im Markt haben, die gut über Adesso denkt.“ 

Kein Wunder: Wer kein würdiges Trennungsgespräch bekommt, äußert seine Meinung eher auf Plattformen wie Kununu, was die Arbeitgebermarke beschädigen kann. Mundpropaganda wird im digitalen Zeitalter zum Stigma. Außerdem begegnen Firmen Umfragen zufolge mehr als der Hälfte der Ehemaligen rasch wieder, gern auch mal als Kunden. Und wie peinlich wäre es dann, keine Kekse auf dem Konferenztisch stehen zu haben.

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