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Personal > Internationaler Vergleich

Warum Deutschland bei der Gleichberechtigung zurückfällt

Die Bilanz zum Weltfrauentag 2023 ist düster: Deutschland wird im internationalen Vergleich beim Thema Gleichberechtigung im Beruf abgehängt. Der Vergleich mit anderen Ländern wie Schweden zeigt, dass zu viele die falsche Mentalität haben.

Die Altstadt von Stockholm: In Schweden ist die Gleichberechtigung weit vorangeschritten.
Die Altstadt von Stockholm: Schweden ist eines der Länder mit der höchsten Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

Nein, ihr Heimatland sei ganz bestimmt kein Hort der Gleichberechtigung. Aber eine Sache funktioniere dort besser als in Deutschland: „Im Iran wollen viele Mädchen MINT-Fächer studieren. Und in den nach Geschlechtern getrennten Schulen und Universitäten können sie das auch effektiver tun“, sagt Jasmin Arbabian-Vogel, Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen (VdU). Die aus dem Iran stammende Chefin eines Sozialdienstes musste in Deutschland ihr Abitur nachholen und war verwundert, dass sie als junge Frau keine 15 Punkte in Physik bekam, nur weil sie eine Frau war. „So etwas begegnet mir hierzulande auch heute noch“, sagt sie und wundert sich nicht, dass in Deutschland so wenige Frauen MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) wählen.

Stereotype sind immer noch Teil unseres Alltages, nur dass sich Deutschland das nicht mehr leisten kann. Hierzulande fehlen rund 800.000 Arbeitskräfte im Technologieumfeld, und der Bedarf kann durch den männlich geprägten Talentpool nicht gedeckt werden. Eine McKinsey-Studie macht großes wirtschaftliches Potenzial aus, sollte es gelingen, in den EU-Mitgliedstaaten den Frauenanteil in Techberufen wie Produktentwicklung, Datenanalyse oder Programmierung bis 2027 auf 45 Prozent zu verdoppeln. Dann könnte das Bruttoinlandsprodukt um 260 bis 600 Milliarden Euro steigen. Doch gerade in Deutschland wählen besonders wenige Frauen Studiengänge in einem der MINT-Fächer. Der Frauenanteil bei Bachelorabschlüssen in Technikfächern liegt bei 22 Prozent und damit zehn Prozentpunkte unter dem EU-Schnitt.

Deutschlands Rückstand im MINT-Bereich ist nur ein Beispiel dafür, dass wir wegen mangelhafter Gleichberechtigung im internationalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Bei der Chancengleichheit von Frauen und Männern im beruflichen Kontext zählt die Bundesrepublik keineswegs zur europäischen Spitze – und weltweit schon gar nicht.

Beim Gender Equality Index des Europäischen Instituts für Geschlechtergleichheit (Eige) liegt Deutschland nur knapp über dem europäischen Durchschnitt. Vor allem die skandinavischen Länder und die Niederlande sollten uns als Vorbild dienen. Und im jährlich erhobenen Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums schneiden wir im Bereich „Wirtschaftliche Teilhabe und Chancen“ im globalen Vergleich schlecht ab. Hier rutschte Deutschland von Rang 32 im Jahr 2006 ab auf Platz 62. Gründe sind eine vergleichsweise hohe Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern (Rang 97) und der geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen (Rang 94). Da ist so manches Entwicklungsland besser.

 

Die USA führen

Der Blick in die Chefetagen der größten Unternehmen eines Landes ist nicht das einzige Kriterium, um den Grad an Gleichberechtigung zu messen, aber ein wichtiges. In den USA ist fast jedes dritte Vorstandsmitglied der 40 größten Börsenunternehmen eine Frau, in Großbritannien sind es 30 Prozent, in Schweden 27 Prozent. Deutschland folgt mit 20 Prozent. Bei den größten deutschen Familienunternehmen sind es nicht einmal neun Prozent – wie die schwedisch-deutsche Allbright Stiftung Jahr für Jahr errechnet. Einen mindestens 30-prozentigen Frauenanteil im Vorstand – dieser Anteil gilt als „kritische Masse“ für eine Veränderung der Teamdynamik – hat in Schweden und den USA die Hälfte der Unternehmen, in Deutschland weniger als ein Viertel.

Das Bewusstsein für Chancengleichheit und Diversität ist in den USA länger und fester verankert als in Deutschland. Frauen werden konsequenter für Führungspositionen ausgewählt. In US-Unternehmen ist Vielfalt in der Führung in der Regel ein strategisches Unternehmensziel. Gern wird die Liste der häufigsten Vornamen von CEOs als sichtbarer Indikator genommen: Hier gibt es in den USA immerhin einen Frauennamen unter den Top Five: Jennifer liegt auf Rang drei. In Deutschland findet sich mit Sabine der erste weibliche Vorname auf Platz 25.

Was machen diese Länder besser? Manchmal sind es vermeintliche Kleinigkeiten: In Dänemark ist es unüblich, nach 15, 16 Uhr noch Treffen anzusetzen – eben weil dann viele Väter und Mütter ihre Kinder aus der Kita abholen müssen und nicht benachteiligt werden sollen. Und Mehrarbeit findet – wenn überhaupt – dann statt, wenn die Kinder schlafen: „In den skandinavischen Ländern ist es üblich, dass man pünktlich nach Hause geht. Das ist auch hilfreich für die Gleichberechtigung, denn wenn man Überstunden belohnt, dann haben die abholenden Elternteile – und damit häufig die Frauen – an der Stelle einen strukturellen Nachteil“, sagt Marion Festing, Professorin an der ESCP Business School Berlin, wo sie den Lehrstuhl für Human Resource Management und Intercultural Leadership leitet.

Wie immer gibt es eine Vielzahl von Gründen, aber wesentlich ist, dass in den Ländern mit hoher Gleichberechtigung die Beschäftigungsquote von Männern und Frauen ähnlich hoch ist – anders als hierzulande. „Das Arbeiten in geringer Teilzeit ist ein deutsches Phänomen, ein staatlich subventioniertes Luxusphänomen, das sich andere Volkswirtschaften nicht leisten“, urteilt Wiebke Ankersen, Co-Geschäftsführerin der Allbright Stiftung. „Wenn ich aber möchte, dass alle Männer und Frauen Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten, muss ich wiederum die Vollzeit familienfreundlich flexibel gestalten.“ Arbeitgeber in Volkswirtschaften mit tendenziell höherer Gleichberechtigung würden von Führungskräften eben nicht mehr erwarten, dass sie sich voll auf den Job fokussierten und daheim jemanden hätten, der ihnen privat den Rücken freihielte. „In diesem Punkt sind Familienunternehmen übrigens meistens vergleichsweise attraktive Arbeitgeber“, sagt Ankersen. Politische Maßnahmen allein sind unwesentlich für den Grad an Gleichberechtigung – vieles hängt an der Einstellung der Menschen.

Das zeigt sich an einer weiteren, sehr relevanten Kennziffer – der Zahl der Patente, die von Frauen angemeldet werden. Und hier schneidet Deutschland nicht gut ab: Nur jede zehnte Erfindung stammt hierzulande von einer Frau, wie das Europäische Patentamt kürzlich in einer umfangreichen Analyse ermittelt hat. „Deutschland steht in puncto Erfinderinnenquote auf dem vorletzten Rang in Europa“, sagt Ilja Rudyk, Senior Economist beim Europä­ischen Patentamt, einer der Herausgeber der Studie. Lediglich Österreich steht unter der Bundesrepu­blik. Oben in der Rangliste befinden sich Länder wie Spanien und Portugal. Doch selbst die liegen noch weit hinter Ländern wie Südkorea oder China.

Chinas Erfindungsreichtum

Gerade bei der Quote der aus der privaten Wirtschaft stammenden Patente schneidet Deutschland schlecht ab. Hierzulande liegt die sogenannte Women Inventor Rate (WIR) bei 8,4 Prozent. In Frankreich sind es 13,0 Prozent, in Spanien 18,3. „Sehr unterschätzt wird zum Beispiel die Türkei. In Europa gibt es nur wenige Länder, in denen Frauen prozentual mehr Erfindungen einreichen“, sagt Rudyk. Weltweit betrachtet liegen die WIR in China und Südkorea deutlich über den europäischen Werten bei knapp 30 Prozent. „Positiv ist immerhin, dass die Quote der Erfindungen, die von Frauen stammen, kontinuierlich steigt“, sagt Rudyk. In den 70er-Jahren lag die WIR noch bei zwei Prozent.

Die enormen Unterschiede im weltweiten Vergleich deuten darauf hin, dass es vor allem kulturelle Hintergründe gibt. Wenn die WIR in Japan bei unter zehn Prozent liegt und in Südkorea oder China bei über 30 Prozent, zeigt dies auch, dass es nicht am Bildungsniveau liegen kann. Auch hierzulande studieren genauso viele Frauen wie Männer Fächer, aus denen üblicherweise Erfinderinnen und Erfinder hervorgehen. Es scheint ein ähnliches Phänomen zu geben wie bei der Quote von Frauen in Führungspositionen: An irgendeiner Stelle reißt der Erfolg von Frauen ab.

Die schwedischen Wirtschaftsjournalistin Katrine Marçal hat diese Frage in ihrem Buch „Die Mutter der Erfindung“ analysiert. Historisch betrachtet wurden Frauen und ihre Ideen über Jahrhunderte hinweg ignoriert oder geklaut. Und ihre Erfindungen bekamen unterdurchschnittlich Beachtung.
„Geschlechterrollenerwartungen haben im Lauf der Geschichte auf ganz unterschiedliche Weise Innovationen verhindert“, schreibt Marçal. Das präge die Maschinen, die wir bauten, die Ideen, die wir hätten, und die Zukunftsvisionen, die wir entwickelten. „Wir haben uns, wenn es um Innovation geht, bis heute eine Hand auf den Rücken gebunden. Man stelle sich vor, was wir erreichen könnten, wenn wir diese Fessel kappen.“

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